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Angewandte Kunst

Dieses schwüle Flirren zwischen Klatsch und Tratsch, Flirt und raufenden Kindern, während der Hausmeister schwitzend das nächste Bier öffnet – für sein naturalistisches Schauspiel »Street Scene« war der Dramatiker Elmer Rice 1929 mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet worden. Weill adaptierte es für den Broadway und schuf dazu eine Melange aus Bluesmelodien, kessen Tanzstücken, aber auch hochemotionalen Arien. Der Schluss des Zweiakters – die junge Büromaus Rose verlässt ihren Freund und geht mit ihrem kleinen Koffer einer ungewissen Zukunft entgegen – ist gewiss so amerikanisch wie nur irgendwas…

Für die Sänger blieb durch die Hausfassade eine Rampensituation ähnlich der des "Turms", der kürzlich im Schauspielhaus erbaut wurde. Trotzdem deckte sie das Orchester bisweilen zu (Fotos: Matthias Creutziger)

Nach der Uraufführung feierten die Zeitungen »Street Scene« als »Broadways erste richtige Oper«. Die Regisseurin Bettina Bruinier hat dem kraftvollen, in sich geschlossenen Sujet jedoch offenkundig nicht ganz über den Weg getraut. Den amerikanischen Traum der Einwanderer füttert das Bühnenbild Volker Thieles mit ironisierten Statussymbolen: der Freiheitsstatue, die eine Eistüte hält, einem monströs dicken Elvis, Micky Maus, Superman und Ronald McDonald. Wenig später gleitet die Fassade des geradezu klinisch reinen Mehrparteienhauses zur Seite und gibt den Blick frei auf psychologisierende Traumsequenzen. Bis zur lange erwartbaren Schlusspointe des Werks will sich das Regieteam offenkundig nicht entscheiden, was es zeigt: heutige Außenwelten, gestrige Innenwelten, zwischendurch Zwischenwelten, oder darf’s vielleicht von allem immer mal ein bisschen sein?

Anstatt Szenenanschlüsse zu finden, reichte der Regisseurin oft, wenn einer der Sänger eine wegwerfende Handbewegung machte: "Na, was solls!" Und weiter ging’s… Abb.: Sabine Brohm (Anna Maurrant), Hans-Joachim Ketelsen (Henry Davis)

Auch wenn sich die Sächsische Staatskapelle unter dem Dirigenten Jonathan Darlington nach einer kurzen Anlaufzeit genüsslich den behäbig bluesenden Broadway-Klängen ergab und auch die bisweilen ziemlich deutlichen Anklängen an europäische Operntraditionen fachkundig einbaute: so recht runden wollte sich das künstlerische Bild einer pulsierenden »Street Scene« nicht.

Das lag einerseits an der Entscheidung, das Werk auf deutsch zu spielen – und zwar in einer bräsig-altväterlichen Übersetzung von Stefan Troßbach, der Straßenkinder von "Brunft" und "feinen Pinkeln" salbadern und zwei Liebende unfreiwillig komisch von einem "saftig belaubten Busch" singen lässt. Und andererseits an der wenig selbstbewussten Regie, die gar zu schiefe Handlungsbilder wie ein kurzes Besäufnis zwischen dem allzeit fleißigen Jurastudenten Sam, leidenschaftlich gesungen von Simeon Esper, und dem trägen Hausmeister unkommentiert hilflos in der Luft hängen ließ. Ein Mädchen mit seinem frisch erworbenen Abschlussdiplom auf der Hochschule für Angewandte Kunst wird da so nüchtern sanglos-klanglos aus der Wohnung geworfen, nein: freundlich geleitet, dass man sich fragt: wo bleibt der Volkszorn, wo bleibt die Wut? Das von der Intendantin im Vorgespräch angemahnte Taschentuch zum Tränentrocknen konnte jedenfalls in der Hosentasche bleiben.

Frisch diplomiert an der Hochschule für Angewandte Kunst: Vanessa Goikoetxea. Auch beim Rauswurf der Familie aus ihrer Wohnung tags später gehts ganz friedlich und freundlich zu.

Das Premierenpublikum feierte Sänger und Musiker dennoch und belohnte auch das Regieteam mit freundlichem Applaus. Wehgetan hat diese Weill’sche »Straßenszene« keinem – wer es noch authentischer, kraftvoller und lebensnaher mag, sollte zur nächsten "Bunten Republik Neustadt" durch die Dresdner Straßen wandern und die Ohren aufsperren.

Nächste Termine: 21., 24., 26., 28., 29. Juni