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Schleppendes Gedenken

Wer am Abend des 13. Februar in die Semperoper geht, kommt mit besonderen Erwartungen und wohl auch in einer besonderen Stimmung. Das war dieses Jahr nicht anders als sonst; die gespenstisch leeren Straßen sowie die kurz vor dem Konzert auf dem Theaterplatz aufmarschierende Hundertschaft Polizisten taten ein Übriges. Als die Staatskapelle dann die ersten Töne des deutschen Requiems von Johannes Brahms erklingen ließ und der Klang des Staatsopernchores sanft, aber bestimmt die Semperoper erfüllte, schien es zuerst, als sollte der Abend den Erwartungen gerecht werden.

Teilnahmslos, unpräzise: Pletnevs Dirigat überzeugte nicht (Foto: Matthias Creutziger)

Die intensiven Höhepunkte des Werks verfehlten ihre Wirkung nicht; die großen Choreinsätze im 2. Satz ließen das Publikum in Ehrfurcht erstarren, und das große Fortissimo im 6. oder auch leise Passagen anderer Sätze berührten sichtlich auch den ein oder anderen Musiker. Dazwischen jedoch stellte sich zu oft eine undifferenzierte Beliebigkeit bis hin zur Routine ein. Da waren zuallererst die Tempi, die oft viel zu langsam gerieten, um noch ergreifend zu sein. Das Dirigat von Mikhail Pletnev, das zwar sehr ausdrucksstark, teilweise aber fast teilnahmslos wirkte und in großen Teilen einfach unpräzise war. So konnte man es wohl der Klasse und Routine der Staatskapelle und des Staatsopernchors verdanken, dass die meisten Einsätze und Passagen gut zusammen waren. Durch die flache Choraufstellung drangen die Sänger zudem nur im äußersten Fortissimo wirklich über das Orchester hinweg; Einzelgruppen wie der Tenor wirkten teilweise unterbelichtet. Dass der Chor dann noch einen Satz im Sitzen sang, schien vor diesem Hintergrund wenig nachvollziehbar.

Die Solisten des Abends machten ihre Sache hingegen gut. Die für die kurzfristig erkrankte Annette Dasch eingesprungene Camilla Nylund überzeugte durch eine unprätentiöse Interpretation und gute Intonation, allenfalls hätte man sich an manchen Stellen noch etwas mehr Modulation der Stimme gewünscht. Roman Trekel sang ausdrucksvoll und mit guter Diktion; lediglich am Anfang seines Solos im 3. Satz wäre etwas mehr Demut dem Text und dem Stück gegenüber wohl angemessen gewesen. Spätestens beim großartig gespielten Posaunenchoral entstand jene bewegende kollektive Spannung, die das Gelingen einer Aufführung ausmacht. Die Schweigeminute danach – eindrucksvoll.

 

Auch im Kulturpalast erklang an diesem Abend das Brahmssche Requiem:

Die Hinterbliebenen sind es, an die Brahms sich mit seinem deutschen Requiem richtet. Sie aufzufangen, aufzurichten, ihnen Mut zu geben, das versucht die Musik. Schwer hat man es als Hörer allerdings, wenn der Dirigent das Werk als monumentale Totenklage empfindet und wuchtig auch dort austeilt, wo eine sanfte Hand tröstender wäre.

Sicher – der überbordende Klangrausch liegt nahe, wenn ein hundertfünfzigstimmiger Chor aus Mitgliedern der Wiener Singakademie und des Philharmonischen Kammerchors Dresden, einstudiert von Heinz Ferlesch und Matthias Geissler, die gesamte Bühnenbreite des Kulturpalasts vierreihig ausmisst. „Denn alles Fleisch, es ist wie Gras“ – wie mit einem turmhohen Richtschwert ließ Frühbeck de Burgos am Sonntag im 5. Philharmonischen Konzert austeilen, obwohl die Sänger – wie auch die donnernden Triolenhiebe, die der Pauker niedersausen ließ – an dieser Stelle laut Partitur nur im majestätischen Forte und nicht im apokalyptischen Fortissimo daherkommen sollen. Klar, dass dem Chor das moderate Tempo eher entgegenkam; so gelang die Abstimmung mit dem Orchester ausgezeichnet, alle Einsätze kamen punktgenau. Auch die Fugen klangen übersichtlich und wohlartikuliert; selten, dass Sopran oder Tenor einmal die Höhen überstrapazierten.

Wer mit dieser schwerblütigen Lesart – und gerade im nicht ausverkauften Großen Saals des Kulturpalastes – hörbar Probleme bekam, war die Solistin Christiane Oelze. Die erste Zeile ihres Sopransolos – „Ihr habt nun Traurigkeit“ – dauerte gefühlte Lichtjahre – wer könnte das aussingen? Wie der Bariton Gerd Grochowski fügte sie sich jedoch geschickt in ihr Temposchicksal. Dem Anlass entsprechend, erhob sich das Publikum am Schluss zur Schweigeminute und verzichtete auf Applaus.

Auf der Gastspielreise, die den scheidenden Frühbeck de Burgos mit seinem Ensemble nun nach Wien, St. Pölten und schließlich nach Salzburg führt, erklingt die Strauss’sche „Alpen-Sinfonie“, die die Philharmoniker zum 5. Philharmonischen Konzert am Samstag herrlich beredt und zum großen Genuss der Kulturpalastbesucher aufgeführt hatten. Am Freitag steht auch noch einmal das Requiem auf dem Programm; Christiane Karg übernimmt in Salzburg den Sopranpart.

(Martin Morgenstern)

Eine Textfassung des Artikels ist am 15. Februar in der Sächsischen Zeitung erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.