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Weltreise aus Leuben

Neujahrskonzerte verlangen nach Dreivierteltakt, nach bekannten Melodien und eingängigen Rhythmen zum Mitklatschen. Die Staatsoperette hat am 1. Januar all dies geboten und ihrem Stammpublikum dennoch kein Programm der Beliebigkeit aufgetischt. Das Haus war in nicht mal 24 Stunden dreimal ausverkauft – an Silvester zweimal mit George Gershwins „Pardon My English“ und tags drauf mit einem Konzert, das von Leuben aus quer durch Europa führte. Wenn das kein vielversprechender Auftakt in ein hoffnungsvolles Jahr gewesen ist!

Fledermäuse sind auch im Zentrum Dresdens ein Thema (Foto: A. Winter)

Dabei standen nicht einmal nur Operetten-Komponisten an, mit Edward Elgars 1. Marsch aus „Pomp and Circumstance“ wurde ein echter Ohrwurm geboten, der britischen Kult in kontinentalem Hochglanz servierte. Da war die eingangs zwar nicht vergeigte, doch hörbar etwas verkatert angestimmte „Fledermaus“-Ouvertüre von Johann Strauß längst vergessen. Deren heitere Champagner-Seligkeit gehört zum Jahreswechsel so selbstverständlich mit dazu wie der Walzer zu Wien. Doch die Konzertgestaltung am Neujahrsmorgen führte musikalisch mit Arthur Sullivan gen London und in Ausschnitten seiner „Piraten von Penzance“ durch eine märchenhaft operettige und natürlich liebevoll verklärte Flibustier-Welt, militärisch ging es mit Franz von Suppés „Leichter Kavallerie“ an die Gestade von Uniformglitzer und Soldatenseligkeit von hohen Wiedererkennungsgraden, an eher unbekannte Ufer führte „Die Weiße Dame“ von Francois Adrien Boieldieu, gefolgt von Adolphe Adam, Ambroise Thomas und einem Ausschnitt der 2. „L’Arlesienne-Suite“ von George Bizet.

Wie sehr sich Europa, lange vor seiner wirtschaftlichen Einigung, durch eine ebenso vielfältige wie gemeinsame Kultur definiert haben mochte, unterstrich Gastmoderator Henri Maier. Der einstige Intendant von Montpellier und Leipzig verknüpfte Lebens- und Handlungsstationen der aufgeführten Tonsetzer und ihrer Werke – schon schien ein geeinter Kontinent mitten in Leuben zu kulminieren. Nur östlich der Linie Berlin – Wien war aus französischer Zentralperspektive wohl nichts auszumachen, vielleicht hebt man sich das ja für künftige Jahrgänge auf.

Christian Garbosnik, der 1. Kapellmeister des Hauses, forderte dem Orchester eine energiegeladene Grand Tour ab, deren Strapazen sich nur das Blech vornehm verweigerte, um freilich bei der „Kavallerie“ jeglichen Makel glänzend wegzupolieren. Nach einem Ausflug zu Daniel Aubers „Fra Diavolo“ und damit gen Oper – mit Verdis „Traviata“ sollte als Zitatenzugabe ein weiterer folgen – endete die Europa-Reise im „Banditen-Galopp“ von Johann Strauß. Da waren die Musikerinnen und Musiker ganz bei sich angekommen, fulminant flirrten insbesondere die Streicher durch das Notenmaterial – und ein verkleideter Bandit huschte durch die Orchesterreihen, um sich an diversen Pretiosen zu bedienen.

Das war natürlich Timothy Oliver, der gemeinsam mit Jessica Glatte die Gesangsparts ausgefüllt hat. Ob Solo oder Duett, die beiden überzeugten mit Nonchalance und Leichtigkeit, gurrten verliebt und hoben ihre Stimmen treffsicher in azurne Höhen. Sehr spielerisch, nach Straußens „Champagner-Polka“ ohnehin schon in perlender Laune, stahlen sie sich die Einsätze bei Verdi – ganz zur Freude des Publikums, das seiner Begeisterung handfest zum „Radetzky-Marsch“ Ausdruck verleihen durfte. Da zündeten schließlich nicht nur die klug gewählten Leckerbissen aus Europas Repertoire, sondern auch die Feuerwerke und Fontänen am Bühnenportal. Mit vergleichsweise moderatem Aufwand ein Furioso giocoso zum Neuen Jahr.

 

Eine Textfassung des Artikels ist am 3. Januar in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.