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Quälerei in sieben Szenen

"Mit den Figuren leben. – Ihr Leiden mit-leiden. Aus dieser empathischen Haltung ihre Musik schreiben. Zuerst diese Empathie – durch sie zur Musik vorstoßen – das Material formen, Strukturelles festlegen, die Instrumentation bestimmen."

Das hatte sich der Komponist Alfons Karl Zwicker vorgenommen. Das Verhältnis von Tätern und Opfern beschäftigt ihn grundsätzlich; am kraftvoll verdichteten Libretto von Daniel Fuchs entlang schrieb er, der selbst sieben Jahre lang in einem Kinderheim lebte, sich offenbar auch persönlichen Schmerz vom Leib. Die Musik wütet, stöhnt, verhöhnt die Protagonisten. Sechs am Bühnenrand platzierte Schlagzeuger des MDR-Sinfonieorchesters unter der Leitung von Florian Ludwig tun ein Übriges, um das 164-köpfige Ensemble als autoritäres Machtinstrument wirken zu lassen, dem man als Hörer niemals entkommt. Daneben sind es auch Passagen quälender Langsamkeit und Leere, die deutliche Wirkung erzielen. Dieser kompositorischen Willkür ausgesetzt zu sein, war tatsächlich nicht einfach zu ertragen: die Uraufführung der Folter-Oper "Der Tod und das Mädchen" geriet zur zweieinhalbstündigen Quälerei. 

Paulina (Frances Pappas) vermutet, der Arzt (Uwe Eikötter) sei ihr ehemaliger Peiniger (Foto: Klaus Gigga)

Regisseurin Annette Jahns zeigt dabei in beklemmenden Bildern das kaputte Innenleben der Protagonistin Paulina Salas. Alpträume, auf Zelluloid gebannt, wabern über die Wände; das Bühnenbild, die gesamte Szenerie ist in aller Schlichtheit und Reduziertheit beängstigend gut entworfen. Schade, dass die drei Sänger darin so gewöhnlich opernhaft agieren, Requisiten hin- und hertragen müssen und nicht mehr als das erwartbare Repertoire an Mimik und Gestik aufbieten. Jahns Entscheidung, für die letzte und längste Szene der Oper die Bühne ausschließlich dem bewegungslosen MDR Rundfunkchor zu überlassen, mag aus der Sicht des Musikdramaturgen folgerichtig gewesen sein; der völlig ausverkaufte Tessenow-Saal verfiel jedoch endgültig in lähmende Starre. Diese Oper verweigerte sich letztendlich sogar einem Schlussgestus, immer wieder und wieder flackerte die Musik auf und erstarb erneut. "Wir wollen die Zerstörung des Theaters, und dessen Wiederaufbau", so das Libretto. Das Publikum, solcherdings vor den Kopf gestoßen, sah dieses Ziel wohl nicht erfüllt; äußerst schütterer Beifall nur, stattdessen frustgeladene Diskussionen im Foyer. Kunst zu schaffen, mag ein wirkungsvolles Therapeutikum sein. Aber das Publikum dafür in Sippenhaft zu nehmen, ihm jeden ästhetischen Mehrweit so konsequent zu verweigern: kann das ein legitimer künstlerischer Ansatz sein, der über sich selbst, über seine Zeit hinausweist?

Letzte Vorstellung: heute abend, 20°° Uhr, Festspielhaus Hellerau

Eine Textfassung des Artikels ist am 4. Dezember in der Sächsischen Zeitung erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.