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Liebe und Tod, Theater und Tanz

Zwei Wochen nach der Premiere von „Orpheus und Eurydike“ am 13. November sitze ich wieder im Kleinen Haus des Staatschauspiels. Erneut nimmt mich die Atmosphäre gefangen und ich sehe herab auf das Drama. Wie im antiken Theater hat Ausstatterin Cleo Niemeyer von der Dresdner Hochschule für bildende Künste die Szene so tief wie möglich nach unten verlegt und das Tanztheater von Thomas McManus zu Christoph Willibald Glucks Oper geschieht vor den Zuschauern auf den ansteigenden Sitzreihen. Vor der schwarzen Wand an der Rückseite der Bühne, leicht erhöht das Orchester, rechts und links der Chor, schwarz gekleidet, so lösen sich Begrenzungen auf, der Klang kommt zu uns aus einer nicht ganz zu definierenden Tiefe. Davor das Spiel, die Protagonisten, Tänzerinnen und Tänzer. Mitunter verbinden sich Klang und Bewegung ganz körperlich, dann gilt wieder strenge Trennung zwischen dem oftmals oratorischen Stil der musikalischen Seite und dem mehr oder weniger tänzerisch abstrahierenden oder kommentierenden Anspruch des regieführenden Choreografen.

Starke, assoziative Bilder prägen die Inszenierung (Fotos: Bettina Stöß)

Von Beginn an wird auf höchstmögliche Klarheit und Strenge geachtet. Gedanken an Rituale des Abschieds, an Motive von Totentänzen, dürften nicht ganz unangemessen sein. Glucks temperamentvolle und so sonderbar beschwingte Ouvertüre ist gestrichen, dem klagenden Eingangschor ist eine Zuspielung vom Band voran gestellt. Der Dresdner Kammerchor singt Max Regers Trauermotette „O Tod, wie bist du bitter“. Dazu betreten die Sängerinnen und Tänzer wie in einer Prozession das Theater. Später, wenn der Figur des Amor die des Todes gegenüber gestellt wird, bei Gluck kommt sie nicht vor, thematisch aber ist sie auf jeden Fall im Spiel, erschließt sich dieser ungewöhnliche Beginn.
Und dann wird mit den Mitteln der Musik und des Tanzes die Geschichte von Orpheus und Eurydike erzählt. Von seinem Trauergesang über den Tod der Geliebten, wie er es vermag die Götter dermaßen zu bewegen, dass sie ihre eigenen Gesetze außer Kraft setzen und es dem Sänger gestatten Eurydike aus dem Reich der Schatten zurück ins Leben zu führen.

Amor aber ist der Spielmeister und sein Spiel ist so grausam wie listenreich. Der Weg ins Leben ist eine Prüfung, und an eine Bedingung gebunden. Orpheus darf sich nicht umsehen, er muss den Klagen der Eurydike über sein unverständliches Verhalten stand halten. Das alles ist dem Scheitern geweiht und alle noch so herzzerreißend schön besungene Not sollte den Zuschauer nicht darüber hinweg täuschen dass das Leben, zu dem die Liebe gehört, eine Abfolge von Endpunkten ist, deren permanente Nichtanerkennung zum Tod bei lebendigem Leibe führen kann.
Wer sich so tief in die Interpretation dieses Stoffes begibt bedarf der Mittel, die weit über das Wort hinaus gehen, die Musik, den Gesang und den Tanz.

Stefan Kunath / Rebekka Gruber

Diese Disziplinen sind durch die Studierenden der Dresdner Hochschulen für Musik und Tanz hervorragend vertreten. Sie erfuhren im Prozess der Erarbeitung offensichtlich angemessene Anleitung und Begleitung durch den Dirigenten Franz Brochhagen, den Studienleiter und Chordirektor Michael Käppler und den regieführenden Choreografen Thomas McManus. So wie hier das Hochschulsinfonieorchester spielt, kommt der Verdacht gar nicht auf, Glucks Musik könne spröde sein oder sich in Gleichförmigkeit erschöpfen. Hier waltet frischer Klang, die Tempi sind zügig, das Klangbild ist so farbreich wie präsent und plastisch. Der Chor mit seinen Aufgaben fügt sich da bestens ein. In der Aufführung am 25. November kommt noch ein höheres Maß an Selbstverständlichkeit dazu, der Klang ist freier, die Präsenz stärker, ein schönes Maß aus Freude und Bedachtsamkeit.

Bei den Solisten lässt Stefan Kunath als Orpheus mit den ersten Klagetönen aufhorchen. Ein jugendlich, mannhafter Countertenor, nicht dem puren Schöngesang verpflichtet, der im Finale, nach der großen Arie, noch einmal überrascht mit sicheren, frei ausschwingenden Passagen. Rebekka Gruber als Eurydike gestaltet mit klarem Sopran und sicherer Stimmführung den knappen Part der originalen Partie, wie sie Gluck geschrieben hat, und bewährt sich stilsicher in den Koloraturen einer Arie von Johann Christian Bach, die im Stile verbürgter Aufführungspraxis hinzugefügt wurde.

Gleiches gilt für Joowon Chung als Amor, der Gewandtheit des Spielmeisters entspricht die Biegsamkeit ihres klaren und stilsicheren Gesanges. Den Figuren der Oper sind Tänzerinnen und Tänzer zugeordnet, die Rolle des Todes bleibt dem Tanz vorbehalten und Etienne Aweh gestaltet sie mit Achtung gebietender Grandezza. Bei den anderen geht es nicht um Doppelungen, es geht um andere Darstellungsweisen innerer Vorgänge oder Emotionen.

Das gelingt Christof Pohl und Wiebke Dorothee Bickhardt als Orpheus und Eurydike in beeindruckender Weise. Beide können auf ihre Art den Ansprüchen der fordernden Choreografie von Thomas McManus gerecht werden. Er gibt ihnen neoklassisches Material, das dann mal sanfter, mal härter gebrochen wird, schnell wechselt der Tanz vom empfindsamen Nachzeichnen einer musikalischen Linie zur abstrakten Assoziation. So wird es möglich, berührende Momente zu sehen, wenn der besungene Weg aus der Unterwelt zu einem schmerzvollen Tanzduett aus Erfahrungen einer unaufhaltsamen Entfremdung wird. Dass die Figur des Amor im Tanz bei Seraphina Detscher an die Schlange im Paradies erinnert hat etliches für sich, ebenso wie deren Vereinigung mit dem Tod, dieweil Amors Macht nur noch knapp nach so viel Vergänglichkeitserfahrung gepriesen wird.

Zu den Tänzern mit klar definierten Zuordnungen in der Handlung kommen zwölf weitere Studierende der Palucca Schule als Freunde, Furien, Larven und Selige. Sie fügen sich immer wieder zu assoziativen Bildern, diese sind dann ganz stark, wenn bei Verzicht auf jedes dekorative Beiwerk Momente der Verletzlichkeit menschlicher Körper den musikalischen Verlauf dieses gelungenen Experiments der Dresdner Kunsthochschulen grundieren.

Die Premierenkritik ist in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag, dass wir Textteile daraus hier erneut abdrucken dürfen.