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Kunst statt Krawatte – Deutschland feiert Geburtstag

Neues Deutschland. Auferstanden aus Ruinen. Einigkeit und Recht und Freiheit. Jetzt feiert zusammen, was wegen Tausend Jahren im Dutzend so lange getrennt war. Was schenkt man da zum Zwanzigsten?

Wie im richtigen Leben, wo Krawatten meist eine Verlegenheitslösung sind, wäre auch hier weiterer Fahnenstoff vertan. Wenn schon in die Taschen gegriffen werden soll, dann doch bitte für Kunst und Kultur. Bilder, Bücher, CDs, Theater-, Konzert- oder sonstige Bildungsgutscheine ehren die Beschenkten wie die Gebenden. Für „Die Deutschlandrevue“ wurde tief, sehr tief in die Taschen gegriffen – und dank der Gebührenzahler von ARD und 3sat sowie dem Vermögen des SWR war von allem was dabei, um die vor zwei Jahrzehnten wiedervereinte Nation reich zu beschenken: Erinnernswerte Bilder und Filme, Ausschnitte aus wichtigen Büchern und von legendären Tonträgern, unvergessliche Theatergeschichten, kostbare Konzertklänge wurden am Dienstag mehr als vier Stunden lang auf die Bühne gehievt, um daraus bildschirmkompatible 75 Minuten für die ARD und immerhin 150 Minuten für das grenzüberschreitende Kulturprogramm von 3sat zu schneiden. Dass „Die Deutschlandrevue“ als Live-Performance im ausverkauften Dresdner Schauspielhaus aufgezeichnet wurde, hatte gute Gründe. Auf dieser Bühne wurden 1989 „Die Ritter der Tafelrunde“ von Christoph Hein uraufgeführt, hier traten im Herbst desselben Jahres endlich einige Ensemblemitglieder aus ihren Rollen heraus und verlasen vorm Vorhang die Dresdner Proklamation.

Wir sind Helden. Nun schon zwanzig Jahre (Foto: The_Imager / photocase.com) 

Und auf dieser Bühne sollten nun Mario Adorf, Ben Becker, Angelika Domröse, Thomas Freitag, Dominique Horwitz, die Gruppe Karat, Anna und Katharina Thalbach, Idil Üner und viele, viele andere zusammenkommen?! Das gibt es in keinem Theater, so viel Prominenz gibt es nur fürs Fernsehen. Dieses Medium steuerte dann auch noch Sequenzen aus Volker Schlöndorffs Grass-Verfilmung „Die Blechtrommel“, aus Heiner Carows „Legende von Paul und Paula“ sowie aus Frank Beyers „Spur der Steine“ bei, zeigte Ausschnitte der „Publikumsbeschimpfung“ von Peter Handke und eben der „Ritter der Tafelrunde“ jeweils von den Uraufführungsorten Frankfurt am Main und Dresden. Obendrein wurden eigens produzierte Sentenzen „Prominenter Stimmen über Deutschland“ eingeblendet, die einmal mehr Helmut Schmidts protestantisch hanseatische Stringenz, Kurt Biedenkopfs unkritisch eitle Selbstverliebtheit, Norbert Blüms gläubig psalmodierende Seelenfülle, Horst Seehofers unbeschreiblich für sich und für nichts sonst sprechenden Intellekt, Udo Lindenbergs sonnenbebrillte Schnoddrigkeit, Hans-Dietrich Genschers liberal erhabene Souveränität abbildeten.

Anmut und Mühe

Die Republik hat Geburtstag und blickt in die Röhre. Zum zweiten Jahrzehnt deutscher Einheit eine solche Show zu zelebrieren und das mediale Ereignis bewusst im einstigen „Tal der Ahnungslosen“ anzukochen, das ist doch allemal besser als blank geputzte Panzer, uniforme Menschen in Wehrpflicht und dumme Offiziere über Prachtstraßen defilieren zu lassen. Besser auch als hohle Politikerphrasen über persönliche Verdienste und vermeintliche Fehleinschätzungen. Unterm Strich wächst an diesem Abend zusammen, was sich zusammen nicht stört. Weder hüben noch drüben war alles nur gut oder nur schlecht. Die Anfänge nach 1945 waren getragen von ernsthaftem Anspruch – dokumentiert etwa in Ernst Wiecherts „Rede an die deutsche Jugend“ 1945, in Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“ oder in Bertolt Brechts „Arturo Ui“. Bald klang die Sehnsucht nach Vergessen und Entsorgen durch, ein launiges Nachkriegs-Medley und die „Capri-Fischer“ wurde wirkungsvoll in Kontrast zu Paul Celans „Todesfuge“ gesetzt. Die deutschen Nationalhymnen schienen die Trennung zu zementieren, da mochte Katharina Thalbach noch so überzeugend von Brechts „Kinderhymne“ träumen, deren „Anmut sparet nicht noch Mühe“ wohl auch künftig keine Chance hat, zum Lied der Deutschen zu werden. Adorfs Zugabe „Good bye Johnny“ trug Eislers Kreuder-Melodie zu Grabe.
Mit Stationen wie 17. Juni, Louis Fürnbergs peinlichem „Lied der Partei“, dem Mauerbau im August, der auf das XI. Plenum folgenden Kulturpolitik, die diesen Namen kaum verdiente, sowie mit billigen Bananen- und Honecker-Witzen ist für so manchem im Publikum vielleicht etwas viel DDR-Abgesang betrieben worden. „Die alten, bösen Lieder“ sind jedoch keine Erfindung deutscher Neuzeit, wie Idil Üner einmal mehr mit ihrer schumannschen Heine-Interpretation bewies. Politische wie dramaturgische Konsequenzen ergaben sich aus Alfred Anderschs Kritik am Radikalenerlass wie aus Wolf Biermanns neudeutscher Lese des „Wintermärchens“. Ein assoziationsreiches 68-er Medley sprühte voll Lebensgefühl dieser Epoche. Bewegend Angelica Domröse in „Paul und Paula“ und auf der Bühne mit sehr persönlichen Erinnerungen und Rilkes „Panther“-Gedicht.

Sieben Brücken

In die vor 20 Jahren begonnene Gegenwart ging es via Herbstdemo aus Volkspolizisten-Sicht der Leipziger Pfeffermühle hin zu Ulrich Mühe in „Das Leben der Anderen“ und als Redner am 4. November ’89 auf Berlins Alexanderplatz. Da erinnert Rückblick auch an Verlust. Neben diesem zu früh gestorbenen Mimen sprachen Stefan Heym, Christa Wolf und – Jan Josef Liefers.

Der war damals am DT engagiert und hatte sich gewiss nicht träumen lassen, nun in seiner Geburtsstadt die „Deutschlandrevue“ zu moderieren. Bis auf eine Publikumsbelehrung im Bademantel ist ihm das vortrefflich gelungen. Der Mann hat Präsenz, kann lebendig erzählen, gut vortragen (die Biermann-Resolution) und auch singen („Wenn ein Mensch lebt“ von den Puhdys). Neben ihm hatte es Mavie Hörbiger als Einspringerin für Veronica Ferres doppelt schwer, zu abgelesen und behauptet klang da alles.

Das Heute wurde weniger in einer Szene aus Engels „Turm“-Inszenierung als durch knappe Textlesungen und vor allem wunderbare Deutsch-Raps von Samy Deluxe lebendig. Überhaupt die Musik: Nicht nur Christian Friedel und Burkhart Klaußner überzeugten mit grandiosen Sängerleistungen – „Wir sind Helden“ und Udo Lindenberg hätten an den Adaptionen ihre Freude gehabt. Und die durch den langen Abend in aller stilistischen Vielfalt brillierende Band um Franz Wittenbrink hat eine Glanzleistung vollbracht.

Noch schwerer, als darauf ein Schlusswort zu finden, dürften es nun die Schnittmeister der Fernsehfassungen haben. Zum Ausklang ging Karat „Über sieben Brücken“: „Manchmal hasst man das, was man doch liebt.“

Eine Textfassung des Artikels ist am 29. September in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.