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»Buchbinders Beethoven« – Der Künstler als Kustos

Von der "Ehrfurcht des Konzertpublikums" sprach Buchbinder unlängst, besonders der des Dresdners, die ihm sehr gefallen habe. Die erfahrenen Zuhörer seines ersten Semperoper-Zykluskonzerts wussten denn auch, was sich gehört: konzentriertes, allenfalls durch wenige unterdrückte Huster unterbrochenes Schweigen während der Aufnahme; kurzes Atemholen in den Satzpausen; freundliches Klatschen nach jeder Sonate; sofortiger Abbruch des Applauses beim Platznehmen des Pianisten am Flügel, und begeistertes Raunen beim Ansagen der Zugabe ("Das Finale der Pathetique!" – "Ahhhh!"). Und wieder war der Rezensent der mit Abstand jüngste Zuhörer im weiten, nicht mal ausverkauften Parkettrund.

Fotos: Matthias Creutziger

Buchbinder ist längst mehr als ein Interpret. Er ist ein Kustos des Beethovenschen Œuvres; er pflegt die ihm unterstehende Sonatenabteilung wie andere Kuratoren ihre Käfersammlung. Hier und da wird der Staub abgewischt, für die wissenschaftliche Aufarbeitung werden Urtexte und – so vorhanden – Autographen zu Rate gezogen, und die Ausstellung »Buchbinders Beethoven« nach und nach komplettiert und perfektioniert.

Dass der Semperoperzyklus auch noch auf CD aufgenommen wird, verstärkt den Nimbus des Unterfangens, sorgt aber gleichzeitig dafür, dass Buchbinder die Sonaten mit halb angezogener Handbremse durchfährt. Nichts ist hier interpretatorisch absolut ausgereizt, bis zur letzten Grenze getrieben, wie es für Konzerte, die im Gedächtnis bleiben sollen, unerlässlich wäre. Der "Sturm" (Sonate Nr. 17) weht deswegen nur mit Windstärke acht: das bringt keinen Rechtschaffenen vom Glauben ab. Vieles wirkt an diesem Sonntagvormittag einfach nur routiniert; der Funke, der eine neue Beethovenlust entzünden könnte, fehlt.

So hat die gastgebende Staatskapelle wiederum eine Chance vertan, jüngeres Publikum für klassische Musik zu interessieren. Zeitgemäßer als eine CD-Aufnahme wäre es gewesen, die Konzerte kurzweilig zu moderieren, vielleicht gar im Internet zugänglich zu machen. Der artist in residence hätte der Staatskapelle neue Hörer erschließen können, ohne das Stammpublikum im mindesten zu verschrecken. Das wäre doch eine Nachricht gewesen: Aus Dresden gibt es Buchbinder 2.0. So blieb es beim Umherstochern in der Komponistenasche. Schade.