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Eine Adresse für Schostakowitsch

Auf den Tag genau fünfzig Jahre nach dem ersten Besuch von Dmitri Schostakowitsch im Kurort Gohrisch wurde dort gestern der erste Schostakowitsch-Platz Deutschlands geweiht. Damit soll an den Arbeitsaufenthalt des sowjetischen Komponisten im damaligen Gästehaus des DDR-Ministerrats erinnert werden.

Vom 12. bis zum 14. Juni 1960 weilte der 1906 in St. Petersburg geborene Künstler zum ersten Mal in der Sächsischen Schweiz. Zeitgleich entstand im nahen Dresden der Propagandafilm „Fünf Tage – fünf Nächte“, zu dem Schostakowitsch die Filmmusik komponieren sollte. Statt solch kompositorischer Lohnarbeit entstand aber eines der wohl persönlichsten Werke dieses nicht zuletzt aufgrund politischer Attacken gegen ihn höchst zerrütteten Musikers – sein Streichquartett Nr. 8 c-Moll op. 110. Es gilt längst als ein Zentralwerk der neueren Kammermusik und dürfte das  einzige Musikstück sein, das der Komponist nicht in seiner russischen – respektive sowjetischen – Heimat geschrieben hat.

Noten am Nierenteich

Wie Augenzeugen berichteten, entstanden wesentliche Teile dieses in Gohrisch geschaffenen Quartetts, gewissermaßen eine Biografie in Noten, an einem kleinen, nierenförmigen Teich schräg unter seinem Zimmer. Dank Denkmalschutz ist das Gebäude aus den 1950er Jahren noch weitgehend authentisch erhalten. Vereinzelte Birken im Gelände vermitteln sogar einen Hauch russischer Atmosphäre. Während eines zweiten Besuchs in der Sächsischen Schweiz 1972, diesmal zu einem gemeinsamen Kuraufenthalt mit Ehefrau Irina, weilte Schostakowitsch in einem heute als Hotel genutzten Nebengebäude auf demselben Areal.

Gründe genug also, sich in der kleinen Gemeinde an den berühmten Gast zu erinnern. Zusammen mit der gestrigen Namensweihe des Gohrischer Schostakowitsch-Platzes ist an zentraler Stelle eine Büste des Komponisten errichtet worden, die der Bildhauer Horst Engelhardt schuf. Eine großflächige Plakatwand, entworfen von Dominik Schech, hält in Notenschrift die Initialen von Dmitri Schostakowitsch fest: D-Es-C-H. Diese Tonfolge ist auch das beherrschende Moment des 8. Streichquartetts.

Fotos: Michael Ernst

Wenn nach dem Ende der Sommerferien der Schulbus wieder fährt, werden die Kinder am Schostakowitsch-Platz ein- und aussteigen. Bereits jetzt ist die Neubenennung in den Fahrplänen des Nahverkehrs vermerkt worden. Vor allem aber soll dann das Gemeindeleben ganz im Zeichen von Leben und Werk Dmitri Schostakowitschs stehen, denn vom 10. bis zum 12. September 2010 werden die ersten Internationalen Schostakowitsch Tage Gohrisch stattfinden. Sie sind das Ergebnis des erst im vorigen Jahr gegründeten Vereins „Schostakowitsch in Gohrisch e.V.“, einer Initiative, die sich aus Enthusiasten vor Ort und zahlreichen Mitgliedern der Sächsischen Staatskapelle zusammensetzt. So ist es kein Wunder, dass die künstlerische Planung und Konzeption des Festivals in Händen von Konzertdramaturg Tobias Niederschlag liegt, der mit berechtigtem Stolz ein spannendes Programm verspricht.

Streichquartett auch als Kammersymphonie

Zur Eröffnung des unter Schirmherrschaft von Ministerpräsident Stanislaw Tillich und dem mit Schostakowitsch eng befreundet gewesenen Dirigenten Kurt Sanderling stehenden Musikfestes erklingt nota bene das 8. Streichquartett, aufgeführt von Mitgliedern der Staatskapelle. Auch die von Rudolf Barschai bearbeitete Fassung dieses Werks als Kammersymphonie, die bereits 1960 entstand und von Schostakowitsch autorisiert worden ist, wird durch Kapellmusiker interpretiert, die sich lediglich für ein symbolisches Frackgeld an dem Festival beteiligen. Für die musikalische Leitung dieses Außerordentlichen Aufführungsabends konnte der 1924 geborene Dirigent und Bratischst Barschai, Mitgründer des Borodin-Quartetts und langjähriger Leiter des Moskauer Kammerorchesters, gewonnen werden. Mit Isang Enders in der Solopartie wird darüber hinaus Schostakowitschs 1. Violoncello-Konzert Es-Dur op. 107 aus dem Jahr 1959 erklingen.

Ihr Kommen zugesagt haben aber auch Schostakowitschs Witwe Irina Antonowna zu einem Publikumsgespräch sowie der wohl namhafteste Biograf und Kenner, sein Komponistenkollege Krzysztof Meyer, der den Eröffnungsvortrag zum Festival halten wird. Mit einer Experteneinführung durch den Musikwissenschaftler Bernd Feuchtner versehen wird auch die Aufführung des Films „Fünf Tage – fünf Nächte“. Ein weiteres Kammerkonzert mit Schostakowitsch-Sonaten beschließt den ersten Festspieljahrgang.

Dass Gohrisch für solche Konzert- und Filmvorführungen bislang keinen geeigneten Raum hatte, hielt den Verein von seinem Vorhaben nicht ab. Engagierte Mitstreiter im Ort, allen voran Bürgermeister Tom Vollmann, machten sich auf und wurden fündig. Aus einer bislang für Heu genutzten Lagerhalle wird bis September die Konzertscheune Gohrisch – ein, wie erste Anspielproben bewiesen, akustisch bestens geeigneter und eindrucksvoller Raum.

Schostakowitsch-Platz und -Büste hat der Kurort nun erhalten. Spätestens mit den Schostakowitsch-Tagen wird Gohrisch – und somit der damalige Aufenthalt des Komponisten – in ein umfassenderes Bewusstsein geraten.

www.schostakowitsch-tage.de
Kartentelefon: 035021 – 66166

Eine Textfassung des Artikels ist am 13. Juli in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.