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Konzertantes Farbenspiel in Belcanto

Der Abend gestaltete sich zu einem gefeierten Fest der schönen Stimmen. Geradezu malerisch erwuchs aus dem ohrwürmelnden Ereignis ein exzessiver Farbrausch von betörendem Ausmaß. Da wurde die Oper tatsächlich zum Haus der bildenden Künste.

Dass ausgerechnet Dresden Deutschlands Hauptstadt der Feuerwerke sein soll, erstaunt angesichts der Stadtgeschichte und des 13. Februar 1945 immer wieder. Auch am 12. Juni 2010 ist wieder gezündelt worden, doch vor dem himmlisch funkenschlagenden Donner irgendwo im Stadtgebiet gab es diesmal rein akustischen Feuerzauber in der Sächsischen Staatsoper, wo eine konzertante Aufführung von Gaetano Donizettis Belcanto-Oper „Lucrezia Borgia“ angesagt war.

Offiziell sind Papsttöchter heutzutage ja eher selten; wer anderes behauptet, setzt sich allzu rasch fundamentalistischen Angriffen aus, die allenfalls dem Karikaturenkampf vergleichbar wären, wie er jüngst von alten Mohammedanern wider dänischen Aufklärern geführt wurde.

Lucrezia Borgia allerdings ist eine Papsttochter gewesen, ihr Vater war spanischer Abstammung und mag bei der Geburt seiner immerhin viermal verheirateten Tochter noch gar nicht an die vermeintlichen Weihen dieses Amtes gedacht haben. Recht frei nach den historischen Gegebenheiten hat Victor Hugo ein spannendes Drama geschrieben, das von Felice Romani umgehend zum Libretto für Donizettis 1883 an der Mailänder Scala uraufgeführter Oper bearbeitet wurde. Man könnte heute nun einen geschichtsträchtigen Kostümschinken daraus machen oder das Werk in kühler Ausstattung seiner Vieldeutigkeit überlassen. An der Semperoper hat man aus der Not eine Tugend gemacht und am 12. Juni mit Donizettis „Lucrezia Borgia“ die Reihe der konzertanten Opernaufführungen fortgesetzt. In der Titelpartie einmal mehr: Edita Gruberova. Wohl allein schon ihr Name sorgte für ein volles Haus.

Und um diese schillernde Figur dreht sich denn ja auch alles. Lucrezia trifft zum Karneval in Venedig ein, findet den einsamen Gennaro vor, wird von ihrem Gatten Don Alfonso verfolgt. Der wittert in der Vertrautheit zwischen seiner Frau und dem jungen Mann genügend Grund zur Eifersucht und setzt auf den Tod des Rivalen. Lucrezia muss ihm vergifteten Wein einschenken – und reicht ein Gegengift nach. Das geht allerdings nur einmal gut, der zweite Mord ist eine ganze Serie und setzt dem Ruf, in dem die Borgia nun mal steht, ein bitteres Denkmal. Zu spät erst kann sie sich Gennaro offenbaren, dass sie – seine Mutter ist!

Lassen wir außer acht, wie peinlich hier eine Regie ohne wirklich packenden Zugriff gewirkt hätte. Die angedeuteten Gesten der Sängerinnen und Sänger am Bühnenrand waren durchaus hinreichend (und Hand aufs Herz: Mehr Bewegung steckt auch in manch armer Inszenierung nicht drin!). Aber: Welche Farben!

Sie tupfte mütterlich weiße Wölkchen in den Gesang: Edita Gruberova (Foto: Matthias Creutziger)

La Gruberova, Donna Edita, sog ihren Sopran aus himmelblauen Sphären, hauchte in verliebtem Rosa-Ton vor dem Orchester übers Parkett und in die Ränge, tupfte mütterlich weiße Wölkchen in den Gesang, ließ pastos angefangene Vokale farbsatt anschwellen und in gewitterschwarzem Forte enden. Diese Nuanciertheit, die bestens dosierten Energieschübe und die scheinbar anstrengungslosen Kraftausbrüche – das macht ihr auch heute nicht so rasch jemand nach. Ein Spektrum, das den Unschuldston reiner Hingabe ebenso kennt wie denn donnernden Wutausbruch, für den stimmlich mit Farbeimern geworfen wird, von denen jeder punktgenau trifft. Zwischen dem Licht und dem Dunkel gab es erdsatte Töne, grasige Hoffnung und so manch bronzenen Glockenklang – und nach dem berührenden Ersterben einer liebenden Mutter, deren Verzweiflung von der Gruberova in ein schillerndes Grau gegossen wurde, beherrschte frenetischer Beifall das Haus.

Bravo-Rufe aber auch für den stählern schmetternden Michele Pertusi als Don Alfonso d’Este, dessen Bass die ganze Emotion des sich betrogen wähnenden Herrschers umsetzte, ein Machtmensch von stimmlicher Überzeugungskraft. Und um bei den hörbaren Farben zu bleiben: Dem spanischen Tenor José Bros flossen die Töne des liebenden Gennaro geradezu drucklos auf die konzertant unschuldige Leinwand, es strömte ein azurner Feinstklang aus ihm, der so jenseitig rein war, dass man ihm gar keine Verrührung zutrauen wollte – und doch kostete der Sänger die rhythmisch-dynamische Farbschlacht aus, die in seinen Part und ihm wie auf die Stimmbänder gemalt worden ist. In trotzigem Umbra widersetzte er sich dem letzten Rettungsversuch seiner mütterlich mordenden Liebe.

Das restliche Solistenensemble war dieser blendenden Wucht vokaler Darstellungskunst überwiegend ebenbürtig, einzelne Abstriche mögen im Schatten der Pracht dieser Hauptpartien wie übertüncht wirken. Größere Fehlstellen leistete sich auch der Staatsopernchor nicht, wenngleich hier mitunter die gewohnte Perfektion im Zusammenspiel leicht ins Trippeln geriet. Die Sächsische Staatskapelle, gewiss kein Orchester absoluter Italianità, bereitete unter der musikalischen Leitung von Andriy Yurkevych – der gebürtige Ukrainer gab hiermit sein Dresden-Debüt – einen sicheren Klangteppich, war mal goldener Rahmen und mal spröder Rupfen, auf dem die Stimmwunder zu ikonografisch einprägsamer Entfaltung kamen. In Summa ein goldiges Mosaik (fast) wie in San Marco am venezianischen Markusplatz.

 

(Wieder am 18. und 21. Juni 2010)