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„Am 13. Februar schweigt mein Cello“ – Konzertmeister Isang Enders über Dresdens Gedenkkultur

Stardirigent Christian Thielemann wird auf seinen besten Cellisten verzichten müssen. Wenn der Maestro am 13. Februar in der Semperoper das Konzert der Sächsischen Staatskapelle zum Gedenken an Dresdens Zerstörung leitet, sitzt Isang Enders in seiner Wohnung unweit vom Opernhaus. Dabei ist der Musiker Fan von Thielemann und hätte sich als Konzertmeister der Violoncelli selbst zum Dienst einteilen können. Doch der 21-Jährige sagt: "Am 13. Februar schweigt mein Cello."

Gewichtige Gründe hat der in Frankfurt am Main aufgewachsene Deutsch-Koreaner für seine Entscheidung. "Ich habe manchmal den Eindruck, dass man in Dresden am 13. Februar vergisst, dass auch andere Städte bombardiert worden sind", sagt Enders. Er denke da an Hamburg, Berlin, seine Heimat oder auch Hiroshima. "Ich würde mir für Dresden wünschen, wenn in die Trauer noch deutlicher als bisher alle Opfer des Zweiten Weltkriegs mit einbezogen würden – egal, auf welcher Seite sie standen." Zudem prägten ihn Negativerfahrungen: "Ich habe erlebt, wie die Rechten am 13. Februar durch die Stadt gezogen sind. Das mag für europäisch Aussehende schon schlimm sein. Ich aber, als äußerlich erkennbarer Halbasiate, bekam beim Aufzug der Neonazis und ihren Sprüchen Angst. Da die Rechten wieder marschieren, verlasse ich meine Wohnung nicht."

Wer den jungen Mann mit dunklem Haar und wachen, überhaupt nicht mandelförmigen Augen sieht, mag staunen: Asiatisch wirkt er nicht. Aber, Enders hat Pöbeleien und Intoleranz in Dresden erlebt. Deshalb fährt er auch keine Straßenbahn. "Diese Blicke, mich anfeindend, ablehnend oder ignorierend, habe ich in keinem meiner bisherigen Wohnorte erlebt."

Angst und Ausgrenzung im Alltag, Glück und Integration in der Musik – diese Gegensätze prägen das Leben des Neu-Dresdners. Seit September 2008 ist er Cello-Konzertmeister der Staatskapelle. Dies ist deutschlandweit eine Besonderheit. Nur in der Kapelle gibt es neben drei Geigern auch drei Cellisten als Konzertmeister – weil das Cello in wichtigen Werken, wie beim Kapellengott Wagner, eines der führenden Instrumente ist. Nur waren diese Stellen jahrelang unbesetzt. Weil es Orchester gibt, die zwar weniger arbeiten, aber besser bezahlen. Weil "die Hochschulausbildung irrwitzigerweise auf eine Solistenkarriere fixiert ist", wie Enders aus eigener Erfahrung weiß. In ihrer Not richteten die Dresdner eine Konzertmeisterakademie ein, suchten gezielt. Auch Enders wurde geworben, überzeugte mit seinem Talent und bekam nach einem Probespiel die Stelle.

Überwältigend war die Zustimmung der Kollegen nach dem Probejahr. "Ich bin nicht perfekt. Ich weiß von meinen Vorgängern wie Jan Vogler und Peter Bruns, dass man an diesem Pult wächst und den berühmten Klang mitkreiert." Bis heute sei er beim "Noten-Fressen" – so viele neue Stücke habe er zu lernen. "Ich studiere möglichst das ganze Repertoire, die reizvollen Stücke und auch jene, die sein müssen. Das ist manchmal hart. Aber wenn mein Cello Wagners ,Tristan‘ einleitet oder das Ausrasten der Salome begleitet, dann weiß ich, dass ich hier richtig bin!" Zuhörer, die sein emotionsreiches Spiel erleben, dürften ähnlich fühlen.

Die meisten Kollegen der Cello-Gruppe sind doppelt so alt wie ihr Konzertmeister. Da heißt es, diplomatisch zu führen, will Enders "eines Tages geachtet und nicht nur akzeptiert sein". Sein Ziel ist es, dass Qualitätssprünge der Gruppe, wie er sie oft in Aufführungen erlebt, selbstverständlich werden. Möglich sei das, trotz der enormen Dienstbelastung. Eine neue, leistungsorientierte Diensteinteilung soll dazu beitragen. Auch sonst will sich der Musiker einbringen. Für die Staatskapelle, indem er unter anderem ehemalige Kommilitonen für das Orchester zu begeistern versucht. Für Dresden, indem er sich für eine Toleranz-Kampagne engagiert und selbst bei der Oberbürgermeisterin Helma Orosz vorstellig wurde. "Rassismus-Vorwürfe gegen die Dresdner wie unlängst von TU-Wissenschaftler Wolfgang Donsbach sind kontraproduktiv. Es fühlt sich keiner angesprochen, aber alle fühlen sich beleidigt. Ich plädiere für eine Akzeptanz-Kampagne."

Isang Enders wäre sicher ein überzeugender Protagonist einer solchen Plakataktion. "Ich liebe dieses Land, bin absoluter Patriot und pflege das deutsche Kulturgut." Außerdem ist er sympathisch, ein Könner und bei Tourneen ohnehin schon ein Dresdner Botschafter. So wie jüngst, als er mit Kollegen und Sachsens Kunstministerin Sabine von Schorlemer in Brüssel für den künftigen Meetingpoint Music Messiaen von Zgorzelec warb. So wie dieser Tage, wenn er in der ersten Reihe beim Sinfoniekonzert in der Semperoper und bei der anschließenden Skandinavien-Tournee musiziert. Es ist eine Freude, dem zupackenden Jungstar zuzusehen und zuzuhören. So wird nicht nur Dirigent Christian Thielemann diesen Celloklang im wichtigen Konzert am 13. Februar vermissen.

Eine Textfassung des Artikels ist am 26. Januar in der Sächsischen Zeitung erschienen. Wir danken dem Autor für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.