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Herzschlag des Universums – Gérard Griseys „Le noir de l’Etoile“ im Festspielhaus Hellerau

Faszinierend und berührend ist es oft, wenn Menschen in die Natur hineinhorchen. Mittels moderner Sonartechnik ist es heute möglich, antarktischen Gewässern "zuzuhören". Bewegungen von Wasser und Wind werden ebenso hörbar gemacht wie Tiere, die wir normalerweise nicht hören können. Das freut nicht nur Biologen und Mathematiker, auch Künstler aller Genres bewundern die eigendynamische Qualität der Natur, die sich jenseits vom Konstruktionswillen oft wie von Geisterhand entfaltet.

Wenn der französische Komponist Gerard Grisey (1946-98) seinen künstlerischen Ansatz mit den Worten "Klang als Wesen begreifen, durchtränkt mit organischem Leben, belebt von einem inneren Atem" beschreibt, so ist verwunderlich, dass seine Musik nur selten in den Konzertsälen gespielt wird. Jedoch beruft sich eine ganze Komponistengeneration auf Griseys Ideen: zu seiner sensiblen Beobachtung von Naturgesetzen und -gegebenheiten gehörte zwangsläufig auch die Arbeit mit Klangspektren und den Obertonreihen. Anders als Holst ("The Planets"), Langgaard ("Sphärenmusik") oder weitere bekennende Sternengucker unter den Komponisten widmet sich Grisey in "Le Noir de l’etoile" nicht der romantischen Weite des Alls, sondern seiner enormen Lebendigkeit, das durch unendliche Bewegung von Teilchen entsteht.

Im Festspielhaus Hellerau gastierte am Freitag mit "Les Percussions de Strasbourg" nicht nur eines der weltbesten Schlagzeugensembles, sondern auch der Widmungsträger von Griseys rund einstündigem Werk. Die sechs Schlagzeuger sind im Festspielhaus um das Publikum herum gruppiert; was sich in gut 60 Minuten vor den Ohren abspielte, ist mit dem Besuch in einer Art akustischem Planetarium nur unzureichend beschrieben. Per Zuspielband erklangen in Klang übersetzte Pulsare, rotierende Überbleibsel von sterbenden oder explodierenden Planeten. 

Grisey widmet sich diesen Rotationen und bringt die sechs Musiker mit immer neuen Schlag-Wellen nah an die Grenze zur Unspielbarkeit – was beim Publikum hingebungsvolles Staunen hervorruft. Das Ensemble selbst begegnet der nahezu vor Noten "schwarzen" Partitur mit der ihnen eigenen Gelassenheit. Unglaubliche Kraft und Schnelligkeit demonstrierten zwölf oft mit mehreren Schlegeln bewaffnete Arme. Die aus völliger Ruhe und Konzentration geformte Interpretation war meisterlich.

 

 

Auf die Signale des Pulsars Vela bezieht sich Grisey in einem Teil der Komposition (Bildquelle: Wikipedia)

Als 6-Kanal-Surround-Konzert entwickeln sich Klangformationen, die sich einer Einordnung oder Bewertung schnell entziehen, weil Grisey äußerst streng mit den Materialien umgeht und aus recht wenigen Grundinstrumenten (Becken, Trommeln, Gongs) einen irrsinnig nuancenreichen Klangkatalog entwickelt, der beziehungslos bleiben muss. Schließt man die Augen, so verliert man schnell den Boden unter den Füßen: der Herzschlag des Universums wird auch aufgrund der reinen Phonstärke im plötzlich sehr begrenzten Festspielhaus sofort körperlich. Der Zeitbegriff wirkt nach einer Stunde angesichts dieses komponierten Mikroausschnittes aus dem All recht lächerlich und wir Menschen wieder einmal unendlich klein. Während der Niederschrift dieser Zeilen pulsiert das All weiter, Griseys Musik hingegen ist eine größere Verbreitung zu wünschen – denn die künstlerische Betrachtung kann uns nur sensibler für die Natur machen.

(Foto Ensemble: Guy Vivien)