Scroll Top

Auf der Suche nach der Musikalität des Menschen – „Lulu“ von David Marton hat Premiere am Schauspielhaus

David Marton ist jetzt 34 Jahre alt. In den letzten Jahren hat er mit Theaterprojekten auf sich aufmerksam gemacht, die stark vom Musikalischen gedacht sind, mit herkömmlichem Musiktheater aber nichts zu tun haben. Er legt manchen Arbeiten zwar Opern zugrunde, aber es sind keine Operninszenierungen. Dem sogenannten Regietheater hat er sich nicht verschrieben. Auch wenn er mit Schauspielern arbeitet, Opern für Schauspieler produziert er nicht. Ihn interessiert die besondere Musikalität der Schauspieler, die in stärkerem Maß mit ihrer Körperlichkeit verbunden ist als bei traditionell ausgebildeten Sängerinnen und Sängern. Nicht die Normen der Gesangsschulen, Spieltechniken oder klassisch parfümierte Strategien des Zeitgeistes interessieren ihn. In seinen von der Musik her gedachten Theaterexperimenten geht es um die grundsätzliche Musikalität des Menschen, den Klang des Individuellen, die Authentizität einer Ausnahmesituation, in der sich seelische Signale durch Bewegung, Klang und Facetten der Artikulation für Momente frei Bahn brechen. Sie gewinnen Raum und vermögen Menschen in ihren Bann ziehen. Es geht um die kostbaren Momente der Freiheit, für die das Theater den Raum bietet.

Die hohe Bewertung der Gesangstechnik, Konventionen und die Macht der Markt- und Mediengesetze in der knallharten Klassikbranche haben nach seiner Meinung zu einer Entfremdung des Musizierens von Sängern und Musikern geführt. Wovon er spricht weiß er gut, denn er hat die klassische Musikausbildung durchlaufen. Zu Hause, in Budapest, wird das musikalisch begabte Kind gefördert. Der Vater ist Maler, die Mutter als Übersetzerin und Verlegerin mit der Literatur vertraut, der Sohn beginnt mit dem Klavierspiel.  Von der Spezialschule für Musik geht es an die Budapester Franz-Liszt-Musikakademie. 1996 bietet sich die Chance eines Studienaufenthaltes in Berlin, an der heutigen Universität der Künste, damals Hochschule der Künste, beendet David Marton sein Studium mit dem Diplom als Pianist, parallel hat er eine Dirigentenausbildung durchlaufen.

Berlin 1996, das ist aber auch die Erfahrung von Freiheit in den bis dahin nicht selbst erlebten Experimenten einer großen Kunstszene. Heute sagt David Marton, dass er begann sein bis dahin immer stärker entwickeltes Unbehagen an den Regeln bis dahin erfahrener künstlerischer Ausübung produktiv anzunehmen. Jetzt wusste er, dass seinen Äußerungen die visuelle Komponente fehlte, der Film, die Bedeutung der Farben, die Verbindung der Künste. Also begann er nach Wegen zu suchen, den Visionen, die da dämmerten, zu folgen. Die Chance des Wechsels wird wahrgenommen. Nicht der Pianist, nicht der Dirigent macht mit ersten Projekten auf sich aufmerksam sondern der Regisseur, der zusammen mit anderen von der Musik bewegten Theatervisionären sich mutig in das Chaos aller ungelösten Fragen unserer vom Scheitern bestimmten Existenz stürzt. „Nackt entblößt, sogar“, heißt das Projekt, das Webers Oper „Der Freischütz“ folgt. Theatererfahrungen sammelt er indes an der Schaubühne und an der Volksbühne in Berlin bei Frank Castorf und Christoph Marthaler. An der Volksbühne stellt er eine Kammerversion der Oper „Wozzeck“ von Alban Berg vor. In den Berliner Sophiensaelen entsteht ein Projekt, das Menschen mit Mozart zu neuen Gefühls- und Hörerelbnissen führt. „Don Giovanni. Keine Pause – nach Mozart / da Ponte“, so der programmtische Titel seiner Inszenierung, die Theater, Klassik, Jazz, Oper und andere Formen des Singens und Spielens in einer Komödie zusammenführt.

Inzwischen, auch wenn er selbst gar nicht davon spricht und auch seine Bedenken hat, gilt David Marton als wichtiger Nachwuchsregisseur. Aber von  medienwirksamer Etikettierung seines Stils will er nichts wissen. Er sieht sich auch nicht zukünftigen Opernregisseur. Das globale Unternehmen Oper unterscheidet sich für ihn zu stark von der Arbeit mit Musikern, Sängern und Schauspielern an Theatern, die ganz anderes mit ihren Orten, ihrem Publikum,  Klima, Umfeld und Einflüssen einer Stadt wie Dresden etwa verbunden sind.

Die Angebote zur Opernregie an renommierten großen Häusern sind inzwischen da. Erst mal hat er abgelehnt. Das ist nicht grundsätzlich zu sehen, aber grundsätzlich müsste der Sinnzusammenhang stimmen. Wenn der Dirigent erst in letzter Minute einfliegt, zwei Tage zuvor eine andere Premiere absolviert, das ganze Sängerensemble auch kaum kontinuierlich beisammen ist, entspricht das nicht seinem Verständnis vom Theater.

Derzeit arbeitet David Marton in Dresden. Es liegt ihm daran, dass er in einem Team arbeitet, dass er gemeinsam mit dem Musiker Jan Czajkowski und der Szenografin Alissa Kolbusch seine von der Fachpresse zur Musiktheaterinszenierung des Jahres 2009 gekürte Arbeit „Lulu“ aus Hannover für die Bühne des Schauspielhauses inszeniert. Frank Wedekinds Monstertragödie und Alban Bergs Oper geben den Stoff für ein Experiment aus Gesang und Sprache, das dem absoluten Selbstbestimmungsanspruch eines Menschen, in diesem Falle der jungen Frau Lulu, folgt. Sinnlichkeit als Lebensprinzip entdeckt das Team in Wedekinds Spiel, das den Formen des Kabaretts ebenso verwandt ist wie den Rätseln des absurden Theaters. Natürlich geht es bei einem solchen Stoff um Grenzüberschreitungen, um das Aufbrechen von Horizonten, daher die Einbeziehung der Musik, speziell der von Alban Berg, die in ihrer Art ja dafür in besonderer Weise steht. Weil es im Theater die Facetten des Menschlichen zu erkunden gilt, wird uns die Figur der Lulu dreifach begegnen, und ihre Äußerungsformen sind die der Oper, des Jazz und des Theaters. So löst er die Figur auch aus dem Klischee, ein reines Objekt der Männer zu sein. Er sieht sie eher als ein Objekt der Gattungen, was wiederum mit den ganz und gar nicht menschlichen Strategien der Unterhaltungsindustrie korrespondiert.

David Marton rechnet in seiner persönlichen Kunst, bei der er sich wie ein Goldgräber oder Schatzsucher vorkommt, mitunter einsam und entmutigt und dann wieder vom Augenblick des Glücks überwältigt, immer mit der schönen Chance des Unvollkommenen. Grundierung seines Tuns sind das Interesse und die Liebe, was gäbe es denn sonst, was es uns ermöglicht mit dem eigenen Scheitern und der Unzulänglichkeit des Anderen umzugehen.
Ab Sonnabend gewährt er uns mit seinem Team Einblick in den bisher zurückgelegten Weg eines Experiments. Eine Einladung zu sehen, zu hören und zu fühlen.

Foto: Burgtheater Wien

Eine Textfassung des Artikels ist am 8. Januar 2010 in den Dresdner Neusten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.