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„Wo fühle ich mich zuhause, was kann man mir noch zumuten?“ Dieter Jaenicke über den ersten „TonLagen“-Jahrgang

Die ersten zehn Oktobertage waren in den letzten zwanzig Jahren bei Kennern und Liebhabern zeitgenössischer Musik dick im Kalender angestrichen: "DTZM!" Das Kürzel stand für die "Dresdner Tage der zeitgenössischen Musik". Gegründet und geleitet wurden sie vom Komponisten Udo Zimmermann. Mehr und mehr Aficinados pilgerten alljährlich zu der großen, im "Park der Sinne" versteckten Villa am Elbhang, jahrelang übertrat jedoch kaum ein Uneingeweihter jemals die Schwelle.

Unter dem neuen Intendanten Dieter Jaenicke hat das Festival dieses Jahr nicht nur einen neuen Namen bekommen. Die "TonLagen" wollen verstärkt jüngere Besucher anziehen, die vielleicht immer mal Mozart genießen oder sich bei Live-Acts des Berliner DJ-Duos Modeselektor verlustieren, sich aber noch nicht getraut haben, ins zeitgenössisch ernste Fach hineinzuschnuppern. Ein innovatives Konzept hat Intendant Jaenicke den Besuchern versprochen, in dem die zeitgenössische Musik mit ihren Schwesterkünsten in Berührung kommt; Film, Bildende Kunst, Performance, Theater spielen die Nebenrollen. Und zu einem weltoffenen Festival gehört natürlich auch das entsprechende Festspielhaus: seit einigen Jahren saniert, steht es auf dem "grünen Hügel" Dresdens, in der Gartenstadt Hellerau.

Martin Morgenstern hat mit Dieter Jaenicke über seine bisherigen Erfahrungen mit dem Dresdner Publikum gesprochen und ihn nach den Plänen für die nächsten Jahre befragt.

Foto: Steffen Fuessel

Herr Jaenicke, die 25 Konzerte der diesjährigen "TonLagen" wurden mit einem Budget von 600.000 Euro ausgerichtet. 3000 Besucher sind gekommen, macht exakt 200 Euro öffentliche Subvention pro verkauftem Sitzplatz. Ich könnte mir vorstellen, dass Sie für diese Bilanz auch ein paar fragende Blicke ernten.

Natürlich. Es ist eben so, dass es Bereiche der Kunst gibt, die auf kommerzieller Basis funktionieren. Andere Bereiche tragen sich nicht allein. Die Entwicklung solcher Bereich wird durch die öffentliche Förderung überhaupt erst möglich. Man muss dazu sehen, dass in einem solchen Budget auch Auftragsproduktionen, Koproduktionsbeiträge etc. drinstecken. Die Mittel erlauben es ja, dass Kunst erst gemacht, entwickelt wird, dass Tanz-Compagnien überhaupt Stücke produzieren können. 

Mit dem genannten Budget haben Sie dieses Jahr aber weniger Uraufführungen in Auftrag gegeben und lieber anderswo produzierte Werke eingekauft.

Ich bemühe mich, das ganze Programm etwas anders zu gestalten. Die gerne gestellte Frage nach Uraufführungen, nach künstlerischer Exklusivität versuche ich anders zu beantworten, um a) ökonomischer zu sein und b) weil das sinnvoller für die Künstler ist. Die gegenwärtigen Zahlen sind bei weitem noch nicht die, die ich mir für die Zukunft vorstelle. Es ist aber eine klare Entwicklung zu sehen im Vergleich auch zum vergangenen Jahr, das mir immer als sehr gutes Jahr dargestellt wurde.

Nun haben sich die Festspiele ja stilistisch verbreitert, wollen etwa auch Jazzfans ansprechen. Glauben Sie nicht, dass Sie mit so viel Geld in der Hinterhand die finanziellen Balancen der kleineren Jazzveranstalter und Künstler gehörig durcheinanderbringen? Der "Jazzclub Neue Tonne" etwa stemmt mit einem Zehntel Ihres Budgets jährlich circa 120 Konzerte.

Ich würde uns nicht mit der Tonne oder anderen Clubveranstaltern vergleichen. In der Oper, im Staatsschauspiel, da sehen die Budgets eben auch anders aus. Wir haben da mit Abstand das schwierigste Segment zu erfüllen. Dennoch finde ich die Zahlen selber absolut noch nicht befriedigend, daran werden wir auch noch sehr viel arbeiten. Ich sagte immer: wir brauchen mindestens zwei Jahre, bis wir da sind, wo wir ankommen wollen, dass wir z.B. die Platzkapazität voll ausnutzen. 

Das Dresdner Publikum gilt da sicher als ein bisschen schwierig. Der Weg nach Hellerau ist vielen abends zu weit, obwohl man mit dem Auto doch sicher in fünfzehn, zwanzig Minuten da ist.

Das ist schon ein Phänomen: wenn Heiner Goebbels von seiner Performance "Stifters Dinge" weltweit schon 150 Aufführungen gemacht hat und mir gestern sagte: in Hellerau war es das erste Mal, dass eine der Aufführungen nicht ausverkauft war! Dann fragt man sich: warum ist das so? Wenn das Stück in Paris ausverkauft ist, wo abends 20 interessante Sachen parallel laufen – warum dann nicht in Dresden? Da sieht man, dass wir hier schon einen schwierigen Job haben. Die Stadt Dresden sollte nicht für sich in Anspruch nehmen, dass hier alles anders ist als anderswo. Vielleicht entwickelt sich das etwas sperriger, aber ich erlebe auch jeden Tag von neuem, dass Menschen sagen: ich bin das erste Mal hierher gekommen, und ich komme bestimmt wieder. Viele kommen aus Prag, aus Berlin, aus Leipzig. Ich glaube, wir sind auf dem richtigen Weg, auch wenn wir sicherlich nie den "break even" erreichen werden.

Um also ein letztes Mal über Geld zu sprechen: natürlich weckt so ein Budget auch Begehrlichkeiten unter den kleineren Veranstaltern…

Der Weg ist klar: wir wollen gern und oft kooperieren. Ich kann mir beispielsweise durchaus vorstellen, etwas mit der Tonne zusammen zu machen. Die haben doch das entsprechende Publikum, die besetzen ein Segment, was in unseren Dateien noch gar nicht drin ist. Da wäre eine Kooperation doch sinnvoll.

Einige Veranstaltungen waren dieses Jahr schnell ausverkauft, zu anderen kam kaum eine Handvoll Besucher. Kann man die Leute auch ein bisschen erziehen, oder müssen Sie eher auf die "Einschaltquote" achten und einfach auch mal nur populär sein?

Erziehen will ich die Leute nicht. Was ich aber schon machen muss, ist, das Publikum da abzuholen, wo es ist. Es ist ja eher ein Auseinandersetzungsprozess, das man sagt: aus einer bereits vorhandenen Erfahrung mit Tanz, mit der zeitgenössischen Musik erwächst dann die Bereitschaft, die Neugierde: was gibt es denn noch? Wir brauchen diesen Informationszusammenhang. In der Beziehung ist das Festival als Angebot von unterschiedlichen Zugängen für das Publikum zu verstehen. Wo fühle ich mich zuhause, was kann man mir noch zumuten? Die Bandbreite ist schon erstaunlich gewesen: von den Dresdner Sinfonikern bis zu Heiner Goebbels‘ Performance. Ich glaube, dass wir in der Zukunft noch stärker dramaturgisch gestalten sollten, dass die stilistische Reise noch deutlicher wird, und auch die Abwege, die man bewusst geht. Da wird auch mal eine Sackgasse dabei sein, klar. Ich möchte da auch mal klar sagen können: hier gehen wir ganz bewusst eine breite Nebenstrasse, wo wir beispielsweise viele junge Leute erreichen, aber wo wir mit Sicherheit noch sehr viel anspruchsvoller werden können. 

Was werden also die künstlerischen Schwerpunkte der nächsten Jahrgänge sein?

Generell wird es über die Jahre eine durchgängige Linie neuer Musiktheaterproduktionen geben. Eine Linie, die sich stärker mit den neueren elektronischen Produktionen befasst als unbedingt mit der klassischerweise "neuen Musik". Am interessantesten werden die Projekte, die das verbinden. Wir werden auch verschiedene Komponisten-Schwerpunkte haben, da stehen auch einige Jubiläen an. Bei alldem ist es sehr erfreulich, dass diverse potentielle Partner aus Drensden auf uns zugekommen sind und sagten: "Toll, aber im nächsten Jahr wollen wir mitmachen!" Das ist für mich ein sehr positives Zeichen.