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„Die mentale Vorbereitung – das fehlt in der Musikerausbildung“. Ein Gespräch mit dem Violinpädagogen Christian Altenburger

Nach dem Meisterkurs mit Rainer Kussmaul (2007) und dem Internationalen Wettbewerb (2008) fand in diesem Jahr wiederum ein Meisterkurs für Nachwuchsgeiger an der Musikhochschule statt. Christian Altenburger, renommierter Geiger und Violinpädagoge aus Wien, unterrichtete junge Geigerinnen und Geiger vom 15. bis 19. September an der Dresdner Musikhochschule. Zwischen Vorspiel und Unterricht fand er Zeit für ein Gespräch mit Martin Morgenstern über den Sinn und Zweck von Meisterkursen, über den optimalen Zeitpunkt, einen zu besuchen – und woran es an den Hochschulen bei der Musikerausbildung fehlt.

Mit einem Bein im schon Berufsleben, hier noch mal Tipps holen: Anna Schuberth-Meister (Foto: Martin Voigt)

Herr Prof. Altenburger, ein Vorspiel sollte heute morgen darüber entscheiden, welche Teilnehmer des Kurses von Ihnen aktiv unterrichtet werden, und welche nur Zaungäste sein dürfen. Wie ist die Sache ausgegangen?

Alle 14 Kursteilnehmer haben mir vorgespielt. Nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass einige Studenten von sehr weit her, aus Spanien, Ungarn oder Venezuela, angereist sind, hätte ich es schade gefunden, wenn jemand nicht selbst spielen darf. Alle vierzehn werden also aktive Kursteilnehmer. Ein bisschen mehr Arbeit für mich, aber sicher tut der technische Unterricht den Studenten gut.

Unterscheidet sich das Niveau der Studenten sehr?

Dass das Niveau schwankt, ist eigentlich immer so. Idealerweise kommt aber jemand zu einem Meisterkurs, der schon am Instrument gefestigt ist und gerne bezüglich eines bestimmten Werkes eine andere Meinung als die des Lehrers hören möchte. In fünf Tagen kann ich natürlich keine grundlegenden technischen Probleme richten. Ich bemühe mich dann meist, einen Aspekt herauszunehmen: wenn der Schüler das beherzigt, hat er etwas gewonnen.

Junge Violinisten, die es sich leisten können, gehen heute meist zu einem Lehrer nach Westeuropa oder Amerika.

Das ist eine zweischneidige Sache. Kinder und Jungendliche werden in östlichen Ländern sehr gut an ihr Instrument herangeführt. Ich habe in meiner Wiener Klasse Rumänen, Polen, Moldaven und Letten, die rein instrumental gesehen eine gute Ausbildung genossen haben. Die andere Frage ist die interpretatorische. Da hat man im Westen weitergedacht, sich mehr mit Quellen beschäftigt, die besseren Notenausgaben zur Hand. Da haben Studenten aus den genannten Ländern einen Riesen-Nachteil. Gerade im Bereich Bach-Mozart-Beethoven kommt es immer wieder vor, dass ich bei rudimentären Dingen anfangen muss: dass man beispielsweise Urtext-Ausgaben nutzt. Und: manche Schüler kommen mit Geigen an, da würde ich gar keinen Ton herausbringen!

Insofern ist ein Meisterkurs wie "Violine in Dresden" wohl eine gute Chance, mal "Luft von anderen Planeten" zu schnuppern…

Ja. Und immer eine gute Gelegenheit für beide Seiten, Lehrer und Schüler, sich kennenzulernen. Etliche meiner Wiener Studenten habe ich zuerst in einem Kurs getroffen.

Haben sich denn in Dresden schon erste "Flirts" in dieser Richtung angebahnt?

(lacht) Ja, ein Mädchen ist dabei, die ich bereits im Sommer in Frankreich unterrichtet habe. Sie möchte gern nach Wien kommen. Auch drei meiner eigenen Stundenten sind in Dresden dabei, darunter Daniel Auner, der letztes Jahr in Dresden beim Violinwettbewerb den zweiten Preis gewonnen hat. 

Geschlagen wurde er nur von Friederike Starkloff – ihr Lehrer Rainer Kussmaul hat auch Auner bereits in einem Meisterkurs unterrichtet.

Daniel Auner ist diesmal mit dem Violinkonzert von Alban Berg angereist. Wir haben den ersten Teil schon im August gearbeitet, inzwischen hat er den zweiten Satz gelernt. Er wird auch Bach spielen.

…und gewinnt dann hoffentlich nächstes Jahr den Dresdner Wettbewerb?

(lacht) Wir wollen mal sehen. Die Konkurrenz ist sehr groß. Das Gute an dem Dresdner Wettbewerb ist, dass in der Jury nicht nur Geiger sitzen, sondern zum Beispiel auch Konzertagenten. Daniel hat dieses Jahr schon ein paar Kontakte knüpfen können. Das finde ich als Konzept sehr gut.

Vorsichtig gefragt: Wie können Juroren fair urteilen, wenn Sie wissen, dass der Solist auf der Bühne Schüler eines Jurykollegen ist?

Ein sehr sensibles Thema. Normalerweise darf man bei Wettbewerben eigene Schüler nicht bepunkten. Es gibt natürlich die verschiedensten Möglichkeiten, und immer wieder auch Fälle, wo sich Gruppen von Juroren zusammenschließen, etc… Ich denke aber, dass die Bewertung schon in den allermeisten Fällen sehr fair zugeht.

Ihre erste Schülerin heute nachmittag wird Anna Schuberth-Meister sein. Sie hat in Hamburg studiert…

…und ist seit einem Jahr bei mir in Wien. Anna habe ich über die Gustav-Mahler-Akademie in Bozen kennengelernt. Sie steht schon mit einem Bein im Berufsleben, hat einen Zeitvertrag im Gewandhaus. Daneben kommt sie immer mal nach Wien, zum Beispiel, um Probespiele vorzubereiten.

Dieser letzte Schritt für einen Geiger, um in ein möglichst renommiertes Orchester aufgenommen zu werden, kann wirklich nervenzerfetzend sein, oder?

Probespiele sind die schwierigste Sache für die jungen Künstler, und eigentlich ein grausames Verfahren. Oft spielt man nur drei Minuten und ist schon aus der ersten Runde rausgeflogen. Damit muss man umgehen können, und darauf muss man als Lehrer auch vorbereiten.

Tun die Professoren an den Hochschulen da schon genug?

Was zum Beispiel im Sport schon ganz selbstverständlich ist, fehlt bei uns in der Musikerausbildung noch: die ganze mentale Vorbereitung, das Fokussieren, das Einstellen auf eine Situation. Zu meiner Zeit gab es da überhaupt noch nix, jetzt tut sich langsam etwas.

Was geben Sie selbst Ihren Schülern für Ratschläge für diese letzte Hürde ins Berufsleben?

Ich kann ein bisschen Literatur empfehlen, aber eigentlich geht dieser Aspekt über meine Kapazität hinaus. Ich bin ja kein ausgebildeter Psychologe; ich weiß nur, was für mich selbst funktioniert. Ein ganz wichtiger Punkt ist sicherlich, sich mit einer Situation, in die man hineingeht, auseinanderzusetzen, und nicht nur zu reagieren. Da komme ich in den Vorspielsaal, und die Hälfte der Jury liest Zeitung; dann bin ich natürlich irritiert. Wenn ich mit einem guten Plan hingehe, mich gut einspiele und nicht von meinem Tun ablenken lasse, ist schon viel gewonnen.