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Herbstkorrespondenz 2: Das 19. Enescu Festival in Bukarest war reich an Höhepunkten

Er hat nur wenig mehr als dreißig Werke hinterlassen, Kammermusik, Lieder, Symphonik. Er war ein weltbekannter Violinvirtuose und Lehrer für dieses Instrument. Yehudi Menuhin war sein bekanntester Schüler, gemeinsame Aufnahmen aus den 30ger Jahren mit dem Lehrer als Dirigenten, auch hier war er hoch geschätzt, belegen dies. Mit dem Pianisten Dinu Lipatti hat er hinreißende Aufführungen eigener Werke eingespielt. George Enescu, 1851 in einer heute nach ihm benannten Stadt in Rumänien geboren und 1955 in Paris gestorben, ist in seiner Heimat ein bekannter und hoch verehrter Künstler.

Eine Banknote trägt sein Porträt, Denkmale erinnern an ihn, die Musik des Mannes, der Europäer und Weltbürger war, hört man außerhalb seiner Heimat selten. Ob es daran liegt, dass er sich, als Schüler von Fauré und Verehrer Wagners, jedem Stil seiner Zeit versagte, dass sich weder nach Strawinsky noch nach Schönberg richtete, und dennoch seiner Musik impressionistische Züge gab, gemischt mit Traditionen der wiederum von vielen Einflüssen durchzogenen Volksmusik seines Landes und die Melodik zugunsten der Moden nie vernachlässigte? Eigentlich beste Voraussetzungen für einen Opernkomponisten.

George Enescu hat nur eine Oper geschrieben, der Schaffensprozess wurde mehrfach unterbrochen, an die dreißig Jahre vergingen vom Beginn der Arbeit bis zur Uraufführung 1936 in Paris. Heute ist es im Werk zu spüren, zu hören, dass das Grauen des ersten Weltkrieges, das Heraufziehen des zweiten, diese spezielle Bearbeitung der antiken Ödipus-Mythologie beeinflusst haben. Der Librettist Edmond Fleg und George Enescu erzählen in dem oratorischen Werk mit reichen Aufgaben für den Chor, äußerst dankbaren größeren und kleineren Partien sowie einer fulminanten Hauptpartie die Geschichte des Ödipus linear, von der Geburt bis zum Tod. Es gibt aber eine zunächst klein anmutende, aber im Hinblick auf die Zeit der Entstehung, heute besonders im Hinblick auf die Gegenwart, wesentliche Veränderung. Wie im Original beantwortet Ödipus die Frage der Sphinx, deren Fluch auf Theben liegt, mit „Der Mensch“. Nur ist die Frage des Schreckenswesens anders, weniger in Rätselpoesie verkleidet, sondern ganz direkt fragt sie danach, wer oder was denn stärker sei als das Schicksal.

In der Oper geht es darum, dass Ödipus seine Antwort belegen muss, also das Schicksal besiegen indem er es annimmt, dass er den blinden Boten, der ihn sehend macht und ihn daran erinnert, dass er schuldlos schuldig ist, ein Blutschänder und Mörder, nicht bestraft und mundtot macht. Schuld und Schicksal anzunehmen, nicht zu verdrängen, nicht zu entfliehen, der Vergangenheit auf den Grund zu gehen lässt die Gegenwart ertragen und öffnet einzig Fenster im betonierten Horizont. Ein Gang durch Bukarest im Sommer 2009 lenkt den Blick auf Wunden der Vergangenheit, auf die der Gegenwart auch, betonierte Zeichen der Epochen und ihrer Schicksalstaten sind allgegenwärtig.

Unter der musikalischen Leitung von Oleg Caetani wurde der Abend zu einem Ereignis, das noch einmal deutlich machte, welches Meisterwerk es auch endlich andernorts zu entdecken gilt. In der statuarischen, oratorisch-antikisierenden Regie von Nicolas Joel, dem neuen Chef der Pariser Oper, wurde deutlich, dass in szenischer Hinsicht die Möglichkeiten des Werkes erst recht auf zeitgemäße Entdeckungen warten.

Bejubelt wurden zu Recht Chor und Orchester der Bukarester Nationaloper. Es wurde grandios gesungen und musiziert. Der Chor, homogen, in großen Bögen, melodisch wenn gefordert, auch extrem rhythmisch, Sprechgesang, kommentierend, fordernd, betroffen, in höchster Erregung, feierlich und spirituell. Gleichermaßen das Orchester. Die Spannung fiel nie ab, harte Klangkaskaden erschreckten, Stimmungsbilder von kosmischen Dimensionen, geheimnisvolle, flirrende Passagen. Caetani betonte das immerwährende Drängen der Musik, die Beunruhigung bis in das lichtdurchflutete Finale, wenn der geblendete, sehende Ödipus in erlöstem Einklang mit sich und seinem Schicksal die Bühne dieses Welttheaters verlässt.

Die große Anzahl der Partien wurde aus dem Ensemble der Bukarester Nationaloper weitaus mehr als angemessen besetzt. In der Titelpartie als Gast aus Toulouse Franck Ferrari, reich in den Abstufungen der Stimmungsfacetten des komplizierten Charakters, authentisch in der Entwicklung.

Im Verlauf des Festivals machten etliche der berühmtesten Orchester aus der ganzen Welt hier Station und konzertierten im Bukarester Athenäum, wo Enescu 1896 sein Debüt gab. Dazu kam eine illustre Liste von Dirigenten, Instrumentalvirtuosen und Sängern. Eine große Konzertreihe war bei freiem Eintritt ausschließlich der rumänischen Musik des 20. Jahrhunderts gewidmet und schloß so gut wie alle Genres ein. In einem Festivalzyklus erklang zudem George Enescus Musik in Korrespondenzen mit der seiner Zeitgenossen.

Das Bukarester Festival findet seit 1958 aller zwei Jahre statt und kam in diesem Jahr mit einem Etat von sechs Millionen Euro aus. Bevor es, am 26. September mit Konzerten des Orchestre de la Suisse Romande in Bukarest zu Ende ging und weitere Gastspiele verschiedener Klangkörper in rumänischen Städten folgten, fand am 24. September in der Nationaloper die Erstaufführung der in Dresden uraufgeführten Oper „Celan“ von Peter Ruzicka statt. Die konzertante Aufführung in rumänischer Sprache leitete der Komponist. Ein international besetztes Symposium beschäftigte sich an drei Tagen mit Leben, Werk und Wirkung Paul Celans, der 1920 im rumänischen Czernowitz, in der Bukowina, geboren wurde und sich 50 Jahre später in Paris das Leben nahm. Festivalchef Ioan Holender versteht dies als ein Signal den Dichter in Rumänien bekannter zu machen. Im Mai nächsten Jahres kommt die Bremer Inszenierung „Celan“ von Vera Nemirova auf die Bukarester Opernbühne.

(Foto: Ilina Schileru)

Eine Textversion des Artikels ist am 25. September in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.