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Sommerkorrespondenz 2009, Tiroler Festspiele Erl, Teil 5: Ein Liederabend

Dass kleine Dinge, die uns entzücken können, wie sie das erste der 46 Lieder im Zyklus nach Gedichten von Paul Heyse besingt alles andere als Kleinigkeiten sind, wird an diesem Abend mit den ersten Takten und Tönen klar, die wir von Gertrud Ottenthal vernehmen. Wenn im dritten der Lieder Michael Kupfer seine Geliebte mit dem Dom von Siena vergleicht und davon singt, dass sich der der Mond über dieser Stadt vor ihr verneigen müsse, dann können wir am Ende dieses Abends nur feststellen, dass wir uns mit dem Mond von Erl zuallererst verneigen müssen.
Warm, mild und von präsentem Klang in allen Lagen, betörend in den Lyrismen, klingend im Piano, gefasst in der Dramatik, ist die Stimme von Gertrud Ottenthal, dazu der interpretatorische Reichtum einer im großen und im unterschiedlichen Repertoire erfahrenen Sängerin.

Jugendlich, mit heldisch leuchtenden Tönen, kraftvoll in den großen Aufbrüchen, aber nicht weniger intensiv, wenn es gilt sich zurück zu nehmen, den Schatten von Trauer, Einsamkeit und Not Klangfarben zu geben, der Sänger Michael Kupfer.
Den Pianisten Jeanpierre Faber einen Begleiter zu nennen wäre unangemessen, es sei denn, man betont die Tugenden dieser speziellen Kunst, die er bestens beherrscht. Beiden Sängern gibt er den Rahmen und dazu setzt er schönste Akzente in so manchem Nachklang der Liedminiaturen.

Diesem Trio ist es gegeben, den weiten Raum eines besonderen Kunstwerkes aus Monologen und Dialogen zu öffnen, uns mit hineinzunehmen in die Verwirrung aus Romantik, Ironie, Hingabe und Verweigerung, Eitelkeiten und deren Enttäuschungen, in die Weite aus Klängen und Texten die mit schönster Leichtigkeit religiöse und erotische Motive mischen. Es ist eine Lust dabei zu sein. Hier sind die Engel ganz irdische Wesen, die Herzen der Heiligen können sprechen, und die Verehrung göttlicher Schönheit im Antlitz des geliebten Menschen ist die Krönung aller Religionen.
Dabei ist die Grundierung dieser Kleinodien der Liedkunst alles andere als leichtgewichtig. Es geht schon um Leben und Tod, um Krieg und Schlacht, Gefahr und Errettung. Es geht um die ersten und die letzten Dinge, und Hugo Wolf spart nicht an Expressionen und Dramatik, manches der Lieder erreicht die Wucht einer Opernszene. Dann wiederum erscheinen kleine Stücke, zart, getupft, eine Vermischung impressionistisch flirrender Klänge mit südlich-tänzerischer Ausgelassenheit nach Art des Maskenspiels der Commedia.

Hugo Wolfs Lieder sind Herausforderungen für die Sänger, für das Publikum. Ein Zyklus von solchem Ausmaß wie dieser zumal. Das Glück waltet auf beiden Seiten, wenn sich Sänger und ein Pianist wie Gertrud Ottenthal, Michael Kupfer und Jeanpierre Faber mit eigenen hohen Ansprüchen denselben eines solchen Kunstwerkes stellen. Es ist eine Sache, vom Frieden zu singen, wie der Bariton im Lied Nr. 8, „Nun laß uns Frieden schließen“, eine andere ist, es über Töne des Friedens zu verfügen. Es ist eine Sache, von Schlangen und Blitzen zu singen, die man dem Untreuen hinterher schickt, wie im Lied Nr. 45 für den Sopran, „Verschling ´ der Abgrund meines Liebsten Hütte“, eine andere ist es, Gift und Feuer in der Stimme zu haben.

Und am Ende, wenn in höchsten Tönen der Übertreibung und des Übermutes Gertrud Ottenthal mit der Grandezza einer „Donna Giovanna“ uns die Liste ihrer Liebsten präsentiert, dann fehlt nur eines noch zum Glück eines solchen Festspiel-Sommerabends, sie möge uns doch bitte flugs hinzu fügen.