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Im Herzen jung, im Gesang expressiv, authentisch im Spiel – Doris Soffel singt in der Semperoper

Hochdramatisch und betörend zugleich: Doris Soffel (Foto: Boris Streubel)

„Sophia Loren als Carmen“, so eine Dresdner Rezension im Jahre 1985. Gemeint war die Mezzosopranistin Doris Soffel, die mit der Zürcher Oper in der wiedererstandenen Semperoper gastierte.

Am 19. Juni steht sie wieder auf der Dresdner Opernbühne: Sie singt am Ort der Uraufführung die Partie der Königin Herodias in „Salome“ von Richard Strauss.

Grund für ein Telefongespräch und Grund zu fragen, welche Erinnerungen sich für die weltweit gefragte Sängerin mit Dresden verbinden. Das waren besondere Gastspiele, das waren auch außergewöhnliche Situationen für Doris Soffel, die nicht leugnet, dass sie als junge Frau geprägt war von den revoltierenden Ideen der 68ger Bewegung in Westdeutschland. Sie wollte selber sehen und erfahren, welcher Wind im Theater hinterm „eisernen Vorhang“ wehte. Und der, so erinnert sie sich, wehte durchaus frischer, als es sich so mancher im Westen träumen ließ. Die Kunst als „Lebensmittel“, die Musik besonders, bot Freiräume, prägte und beeinflusste Menschen. Natürlich war sie zum Singen gekommen, aber Singen und Denken, mit offenen Augen durchs Leben zu gehen um dann anderen mit dem, was man auf der Bühne darstellt, wiederum die Augen zu öffnen, ist das Prinzip ihrer künstlerischen Existenz bis heute.

Nicht zu vergessen die Aufnahmen, das Musizieren mit der Staatskapelle, damals Haydn unter Neville Marriner für die Deutsche Grammophon. Inzwischen hat sie in Dresden Konzerte gegeben, zuletzt sang sie so rasant wie packend und zutiefst berührend, wieder auf der Opernbühne, die Partie der Amme in „Die Frau ohne Schatten“. Mit Fabio Luisi am Pult folgt in der nächsten Saison die Rolle der Fricka in Wagners „Der Ring des Nibelungen“. Als diese Anfragen kamen, gab es nur einen Blick in den Kalender, und die hocherfreute Zusage. Von Berlin nach Dresden ein Katzensprung, aber eben in eine schöne Stadt großer Musiktraditionen mit wunderbarem Opernhaus.

Wenn Doris Soffel jetzt die Herodias singt und spielt, dann ist das eine jener Rollen für gestandene Frauen, die es nach ihrer Meinung zu rehabilitieren gilt. Das ist keine Partie für die Zeit nach dem Ende der Gesangskunst, im Gegenteil – und das gilt auch für die Amme, Klytämnestra oder Fricka – es gilt zu singen, nicht zu sprechen und zu schreien. Das ist keine verbitterte Intrigantin auf dem Abstellgeleis. Die Oper heißt „Salome“, die ist die Tochter der Herodias, und die hat hier noch etliche Fäden fest in ihren Händen. In der Madrider Inszenierung von Robert Carsen gilt ihr sogar der spitze Angstschrei des Memmenkönigs Herodes, „Man töte dieses Weib“. Das ist konsequent für Doris Soffel, die sich den Herausforderungen nicht verschließt, Ungewöhnlichem gegenüber offen ist und beständig zwischen den Zeilen des Notentextes nach den Schattierungen sucht. Und solches Engagement bekommt der Herodias ebenso wie den anderen Fachpartien für große Mezzosopranistinnen. Was den Gesang angeht: es muss kein Widerspruch sein, höchst expressiv und hochdramatisch zu agieren und dennoch betörend zu sein, als gelte es die Tosca zu singen. Gleich wie alt die Menschen auf der Bühne sind, die man darstellt, es gilt im Herzen jung zu sein, den Klang der Jugend nicht zu verraten, die Klangfarben der Lebenserfahrungen zu mischen.

Heute ist Doris Soffel froh, dass sie Verlockungen wiederstehen konnte, und nicht mit unzeitgemäßen Partien ihrer Stimme schadete. 1983 sang sie schon mal in Bayreuth die Partie der Fricka. Heute kommt ihr diese Kontinuität des zeitgemäßen Singens zugute. Die Erfahrungen der Konzertsängerin stehen für Genauigkeit und primäre Achtung dessen, was die Noten vorgeben. Die der Belcantosängerin, eine der wenigen deutschen Vertreterinnen dieses Faches mit internationalem Durchbruch, lehren dass alles, auch Strauss und Wagner sowieso, im Legato zu singen ist.

Ich möchte wissen, wie es begann mit dem Gesang, wem Doris Soffel entscheidende Anregungen verdanke, da sind wir ganz schnell wieder bei Dresden. Die Sängerin Marianne Schech, Dresden stets verbunden, war ihre Lehrerin. Sie hat das Fundament gelegt, das nun über Jahre sicher trägt. Die Begegnung mit der Belcantomeisterin Joan Sutherland war wegweisend. Die Verehrung für die beseelte Expressivität der Callas half den eigenen Stil authentischer Darstellung, vor allem die dazugehörenden Töne individueller Wahrhaftigkeit zu finden.

Nach dem Rückblick in die Zukunft. Placido Domingo hat Doris Soffel als Herodias an die Washington National Opera eingeladen. Sie freut sich auf die Arbeit mit Peter Konwitschny, der in Amsterdam seine erste „Salome“ inszenieren wird. Die Fricka singt sie in Amsterdam und Venedig. Die Begegnung von Doris Soffel und Evelyn Herlitzius in einem weiteren Stauss’schen Mutter-Tochter-Konflikt, nämlich als Klytämnestra und Elektra, in Brüssel dürfte in jeder Hinsicht spannend sein. Jetzt aber ist Spannung angesagt im blutig-erotischen Intrigenspiel um Macht, Religion und Fanatismus.

„Salome“, von Richard Stauss, am 19., 23. und 25. Juni in der Semperoper.

Boris Michael Gruhl

Eine Druckfassung des Textes ist am 18. Juni in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.