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„Für mich war Leistungsdruck immer ein Ansporn.“ Der Intendant der Dresdner Musikfestspiele, Jan Vogler, im Interview

“Mein Cello braucht Nährstoffe!” Foto: Sasha Gusov

Die Dresdner Musikfestspiele 2009 gehen am heutigen Sonntag mit vier Konzerten zu Ende. U. a. bietet „Zum Abschluss Jazz“ mit den schon jetzt hoch gehandelten Nachwuchspianisten Eldar, Tigran Hamasyan und Aaron Parks aus New York noch einmal spannende Einblicke in das Thema „Neue Welt“ des diesjährigen Festivals. Kurz vor Toresschluss hat Martin Morgenstern noch einmal mit dem Intendanten Jan Vogler gesprochen und um eine erste Bilanz gebeten.

Herr Vogler, mit ihrem ersten Jahrgang haben Sie deutlich gemacht: es geht jetzt um das Nach-vorn-Schauen. Musikalisch wollen die Festspiele in Vorleistung gehen und damit Stadt und Land ermutigen, die früher gekürzten Fördermittel wieder aufzustocken. Was ist Ihr Gefühl: ziehen die Politiker bei diesem Plan nun mit?

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Politiker Festspiele wollen, die im internationalen Festspielkanon gut konkurrieren können. Das Land Sachsen und die Stadt Dresden haben mich da dieses Jahr sehr unterstützt. Natürlich kommt es jetzt darauf an: können wir diese Liga auch halten? Dafür brauche ich weitere Unterstützung. Der gegenseitige Umgang ist da bisher sehr harmonisch; auch mit den Sponsoren, die die Festspiele zu wesentlichen Anteilen mit gestemmt haben.

Die Oberbürgermeisterin Helma Orosz hat die Frauenkirche zum Eröffnungskonzert als “Dresdens schönstes Konzerthaus” bezeichnet. Ob man Dresdens Kulturpolitiker im nächsten Konzert mal auf die zweite Empore setzen sollte, damit ihnen bewusst wird, wie jämmerlich die augenblickliche Situation ohne einen einzigen akustisch befriedigenden Konzertsaal ist?

In Ihrer Frage stecken mehrere kleine Teilaspekte. Zunächst: was ist die Frauenkirche? Ich meine: sie ist eine symbolträchtige Begegnungsstätte. Ich selbst habe sehr enge Beziehungen zu ihr, da ich ja beim Konzert zur Wiedereröffnung mit den New Yorker Philharmonikern konzertieren durfte. Die Frauenkirche ist ein Ort, an dem Menschen gerne Musik hören. Und wenn sie auf diese Weise Beziehung mit den Musikern suchen, sind wir gehalten, mit den akustischen Bedingungen klarzukommen. Es gibt einige Beispiele, wo das hervorragend geglückt ist. Ich sage aber nicht, dass das Konzertieren hier unproblematisch wäre. Anne-Sophie Mutter drückte es etwa so aus: die Akustik ist vielleicht nicht ideal, aber man erlebt in dieser Kirche immer besondere Momente. So ähnlich sehe ich es auch.

Und nun zum zweiten Teil der Frage: Ich habe diese Festspiele vor zwei Jahren übernommen. Jedes der Konzertprogramme, das Sie dieses Jahr gehört haben, wurde von mir kreiert. Die Neuvernetzung von Stadt, Sponsoren, Theatern, Kammermusikern usw. war eine Riesenarbeit. Und da muss ich ehrlich gestehen: was ein neues Konzerthaus angeht, sollte erst einmal Harmonie unter den Musikern der Stadt herrschen. Die Kulturschaffenden müssen das untereinander klären, und den augenblicklichen Streit in der Presse finde ich da unkonstruktiv. Er erinnert mich sehr an den Streit, den wir an anderen “Baustellen” führen. Ich will da noch einmal an die Vision der Musikfestspiele erinnern: es geht um Verständigung!

…die auch zwischen den Generationen manchmal kompliziert ist. Ich denke da z.B. an die Party des neu eingeführten U30-Abos, die besuchermäßig doch sehr überschaubar war. Ist es schwieriger als gedacht, die Erwartungen und Bedürfnisse junger Hörer zu treffen?

Erst einmal war ich sehr überrascht, welch überwältigende Resonanz wir auf das neu geschaffene Abo für junge Leute hatten. Als die “Knights” im Alten Schlachthof spielten, hatten wir aus dem Stand 600 Zuhörer, und deutlich jüngere als sonst. Das “U30”-Abo musste darauf hin auf andere Konzerte erweitert werden; wir wollten ja niemandem absagen! Dass sich zu der von Ihnen angesprochenen Party hinterher niemand so richtig getraut hat, ist eine andere Sache. Neue Formate brauchen, denke ich, in der Entwicklung etwas Zeit. Generell aber hat sich der Aufwand ausgezahlt. Wir konnten ein jüngeres Publikum gewinnen, und das verbuche ich als Erfolg.

Ich weiß nicht, ob es Ihnen aufgefallen ist, aber ich finde die Entwicklung erstaunlich: man sieht fast keine Musikstudenten in den Konzerten. Die Musikfestspiele sind da keine Ausnahme.

Da haben Sie Recht, und das ist eine bedenkliche Entwicklung. Was mich dagegen wirklich gefreut hat: ich habe dieses Jahr viele meiner ehemaligen Kollegen in den Konzerten gesehen. Das ist doch auch für die Dresdner Orchester extrem interessant, sich einmal die “Konkurrenz” anzuhören. Es ist ein Ansporn, und es kann dem musikalischen Dresden nur gut tun. Mir ist nämlich aufgefallen: eines ist den Musikern, die dieses Jahr zu den Festspielen eingeladen waren, gemeinsam: die unglaubliche Frische, und ein ausgeprägtes Temperament. Das scheint etwas zu sein, das ich sehr mag. Der Enthusiasmus, die Kraft: die garantieren, dass der Zuhörer etwas mit nach Hause nimmt. Die “Knights”, Gustavo Dudamel, Bobby McFerrin, René Pape – diese wahnsinnige Energie! Vielleicht ist das etwas für unsere Zeit, in der man sich alles kaufen kann. In der Musikwelt können heute fast alle ihr Zeug. Aber dieses Sich-Freimachen, diese Frische – das kann man nicht kaufen. Einige Male dachte ich in den vergangenen Tagen nur: wow! Und das ist es dann, was eine Live-Aufführung ausmacht.

Ein Intendant, der sich mal eben hinters Cello klemmt und Jimi Hendrix’ “Machine Gun” spielt – das ist ja auch ein Zeichen, dass sich die Festspiele verändert haben. Wie wollen Sie den frischen Geist, der diesen Jahrgang getragen hat, langfristig etablieren?

Ich glaube an die Festspiele. Wir haben jetzt den ersten Schritt gemacht, und die Möglichkeiten sind, glaube ich, noch viel größer. Bisher bin ich sehr glücklich, wie begeistert das neue Konzept aufgenommen wurde. In jedem Konzert werde ich darauf von 50 Leuten angesprochen! Natürlich bedeutet dieser Enthusiasmus nicht, dass wir schon da sind. Wir müssen weiter daran arbeiten, Dresden als Stadt der Begegnung, als Stadt zwischen Ost und West zu etablieren; und die Versöhnung durch Musik Wirklichkeit werden zu lassen. Wir haben in Dresden Probleme, das wissen Sie… Aber Musik kann helfen, sie zu lösen. Auch deshalb unterstützen die Festspiele z.B. nachdrücklich Sozialprojekte.

Zum Beispiel mit dem neu ausgerichteten SAECULUM Glashütte Original-Musikfestspiel-Preis, der ja in Zukunft der Nachwuchsarbeit und dem sozialen Engagement von Musikern dienen soll. Jetzt haben Sie dieses Jahr mit Gustavo Dudamel denjenigen ausgezeichnet, der diese Idee wohl wie kein anderer Musiker verkörpert. Mal ehrlich, wer soll da eigentlich nächstes Jahr kommen?

Zuerst einmal: es war nötig, den Preis neu auszurichten, wenn er sich unter einer Menge gleichwertiger Preis wirklich etablieren sollte. Der SAECULUM-Preis muss eine klare Ausrichtung haben, und dafür sind jetzt zwei Elemente entscheidend: erstens, durch Musik Signale in die Gesellschaft zu tragen – das macht Dudamel tatsächlich wie kein anderer. Und zweitens die Förderung junger Musiker. Da fallen mir auf Anhieb 100 Namen ein – nehmen Sie etwa Barenboim mit seinem West-Eastern Divan Orchestra. Da haben wir schon Potential für die nächsten Jahre, keine Angst. Mehr möchte ich dazu aber noch nicht verraten.

Wie sind Sie mit Ihrem ersten Jahrgang insgesamt zufrieden?

Mein erster Eindruck ist: es gab dieses Mal eine ganz unglaubliche Kommunikation mit dem Publikum. Ich spürte das in den Konzerten als Solist, aber auch als Intendant; und das ist auch der Punkt, auf den wir beim Moritzburg Festival immer wieder angesprochen werden: dass das Publikum eben ein Teil des Konzerts wird, und nicht von der Bühne belehrt wird. Alle Künstler haben dieses Jahr diese eine unheimlich intensive Kommunikation aufgebaut. Das fing an mit den “Knights” bis hin zu Stars wie Gustavo Dudamel, Gabriela Montero, Hélène Grimaud oder Ute Lemper.

Es ist doch ein ganz natürliches Verlangen, mit außergewöhnlichen Künstlern in Kontakt zu kommen. Dresden muss noch mehr in den internationalen Konzertkalendern auftauchen. Kein Dresdner will wieder fünfzehn Jahre auf die Wiener Philharmoniker warten, in München z. B. spielen sie jedes Jahr. Ich finde das nicht logisch und glaube, es gibt noch viele Möglichkeiten. Dresden hat doch ein intensives Musikleben auf hohem Niveau. Und das Festival muss da einfach herausragen!

Bestimmte Akzente hat sich das Publikum übrigens schon sehr lange gewünscht. Was zum Beispiel “Teofane” angeht: seit Jahren kümmert man sich in Dresden um diese musikalischen Wurzeln. Und nun sind wir mittendrin. Da müssen sich die Festspiele eben in Zukunft viel mehr einmischen. Ich würde auch sehr gerne einmal szenisch arbeiten. Dafür müssen wir die Mittel aber weiter aufstocken, um solche Projekte auf die nächste Ebene führen zu können. Dann kann ich mir durchaus vorstellen, eine Oper auch einmal szenisch aufzuführen.

Wenn wir beim Ausblick sind: nächstes Jahr dirigiert Kurt Masur zu den Festspielen Schostakowitsch und Tschaikowski. Kann man sagen, dass es thematisch etwas “ostiger” wird?

Ich verrate da noch nichts. Aber Ihre Vermutung dürfen Sie ruhig ein bisschen weiterdenken…

Etwas müssen Sie mir aber noch verraten. Vor zwölf Jahren haben Sie den Absprung vom sicheren Orchesterleben in die “Selbständigkeit” gewagt. Inzwischen sind Sie ein international gefeierter Solist, gleichzeitig Intendant und Jurymitglied bei Wettbewerben. Was ist Ihr Geheimrezept?

Das kommt darauf an, was man für sich selbst braucht, es ist eine Typfrage. Mein Cello braucht Nährstoffe! Ich bin kein Elfenbeinturmsitzer, ich brauche Kommunikation mit Kollegen. Mit meiner Kammermusikpartnerin Hélène Grimaud oder Dirigenten, von denen ich angeregt werde. Gestern Abend habe ich René Pape gehört, und einige Sachen gelernt. Ich dachte: Mensch, das und das müsste man eigentlich einmal auf dem Cello probieren!

Gleichzeitig versuche ich, alles möglichst gut zu organisieren. Ich habe sehr scharfkantige Zeitfenster. Wenn ich früh morgens aufstehe, kommt zuerst das Cello, mein liebstes Ausdrucksmittel, dran. Ich sage mir: dafür hast du jetzt zwei Stunden, und wenn ich diese Chance verpasse, ist der Tag gelaufen. Generell steigt mein Wohlbefinden mit den Aufgaben… Für mich war und ist Leistungsdruck immer ein Ansporn.

Oha! Darf’s also noch ein bisschen mehr sein, Herr Vogler?

Ich will es so sagen: seit ich das Moritzburg-Festival übernommen habe, bin ich ein glücklicherer Mensch. Seit ich die Dresdner Musikfestspiele übernommen habe, bin ich noch glücklicher geworden, und das ist auch gut für meine Ressourcen auf dem Cello. Gleichzeitig begrenze ich meine Konzerte drastisch, auf maximal 75 pro Jahr. Ich gehe eben auch gern in Konzerte, höre die Kollegen an. Und ich versuche herauszufinden: was bringt die Musikwelt voran? Das interessiert mich eigentlich am meisten.