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Dresdner Kapellknaben veranstalteten kleines Knabenchorfestival zum 300jährigen Jubiläum

“Wir ernten Anerkennung für das, was wir tun…” (Foto: S. Unger, SZ)

Seid ihr dort oben bereit?”, ruft der Kreuzkantor Roderich Kreile mit Donnerstimme aus dem Schiff in die Kuppel der Dresdner Frauenkirche. Und dann erklingt mit

arg verzögertem Engelshall ein Vaterunser. Gut 300 Sänger stimmen ein, darunter der Dresdner Kapellknabe Christian Ludwig und die beiden Mainzer Domsänger Frederik Bak und Rüdiger Schröder. Die drei feiern mit bei einem ungewöhnlichen Chortreffen, das seit Donnerstag und bis Sonntag in Dresdner Hauptkirchen für stimmgewaltige Musik sorgt. Vier Chöre – den Mainzer Domchor, die Leipziger Thomaner sowie die Dresdner Kruzianer und der Jazzchor des St.Benno-Gymnasiums gestalten mit den Dresdner Kapellknaben ein Fest zum 300-jährigen Bestehen der Kapellknaben. Gottesdienste, Konzert und Ausflüge stehen an.

Doch vor dem Gesang ist Sightseeing – zumindest für den 20-jährigen Frederik und den 19-jährigen Rüdiger aus Mainz. Die machen vor der Ansingprobe noch ein Stündchen den Neumarkt unsicher – in Begleitung von Christian Ludwig, bei dem die Mainzer für die Chortreffen-Zeit wohnen. Die Ansichten zur Chorarbeit oder zum Glauben sind ähnlich. Lieblingswerke in der Kirchenmusikliteratur oder Werdegang sind Themen im Gespräch. So kam der elfjährige Kapellknabe Ludwig vor zwei Jahren per Einladung vom Chor der Kathedrale. Er sang vor und wurde später im Rahmen eines feierlichen Gottesdienstes offiziell aufgenommen. Dass Christian katholisch ist, spielte dabei vielleicht auch eine Rolle.

Ansonsten sieht es die Familie kirchenmusikalisch pragmatisch. Christians Bruder wurde damals gebeten, im Kreuzchor mitzusingen. Im Zuge der Optimierung sonntäglicher Familienlogistik führte ihn sein Weg dann doch zu den Kapellknaben. Auch die Gäste bestätigen: in den drei Mainzer Domchören – dem Knabenchor, der gemischten Domkantorei St. Martin und dem Mädchenchor “am Dom und St. Quintin” – gibt es durchaus Protestanten und “richtige Atheisten”, wie bei den Dresdner Kapellknaben auch. “Eine gewisse Sympathie für geistliche Werke sollte man schon mitbringen”, sagt Frederik. “Die geistliche Musik ist eine der schönsten Musikformen, die wir haben. Es ist nicht schlimm, wenn man mit der ,religiösen Materie’ nicht so viel anfangen kann. Um so besser, wenn man als Sänger auch den Hintergrund der Werke versteht.”

Protestantismus oder Katholizismus – diese Frage bewegte auch den ersten Dienstherren der Kapellknaben. Als August der Starke vor allem aus machtpolitischem Kalkül konvertierte, musste die sächsische Hofkapelle neu organisiert werden. Für den Hofgottesdienst, der ab 1709 im katholischen Ritus gefeiert wurde, holte sich der damalige Hofkapellmeister kurzerhand einige sangesbegabte Jungs aus Böhmen. Heute ist das unkomplizierter, erzählt Christian Ludwig. Die fast einhundert Kapellknaben, die die Gottesdienste der Kathedrale rund ums Kirchenjahr musikalisch ausfüllen, werden regelmäßig in den Schulen in und um Dresden “rekrutiert”.

Das Programm zum Fest des 300-jährigen Chorjubiläums ist recht dicht. Natürlich steht eine Menge Singen auf dem Plan; Gottesdienste, Vespern und ein gemeinsames Konzert. Ansonsten darf es zum Jubiläum ruhig auch etwas entspannter zugehen, freuen sich die drei Sänger. Bei Ausflüge nach Pillnitz oder in die Semperoper bereden sie mit ihren “Berufskollegen” auch ganz Alltägliches. Etwa, wie man das als katholischer Sängerknabe so mit den Frauen halten sollte. “Wenn man Mädchen trifft und sagt, man singt im Domchor, sind die erst skeptisch”, sagt Rüdiger. “Aber nach einer Weile finden die das ziemlich cool.” Frederik macht sich da weniger Gedanken. Der musikalische Quereinsteiger, der sich aus eigenem Interesse im Sekretariat des Mainzer Domchors meldete, will Sänger werden und betrachtet die Ausbildung im Domchor als gute Vorbereitung. Und er gibt Rüdiger recht: “Bei den meisten ernten wir eine Art Bewunderung oder Anerkennung für das, was wir tun.”

Anders Winter

Eine Druckfassung des Textes ist am 23. Mai in der Sächsischen Zeitung erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.