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„Liebes Leben, danke!“ – Die Geigerin Katharina Müller ist von Chile infiziert. Sie initiiert und unterstützt Musikprojekte vor Ort

“Jeder spielt so ungefähr ein bisschen, was er will und kann…”

Die Geigerin Katharina Müller (im Bild mit ihrem Kammermusikpartner Sergio Pontes) hat in Weimar, später in Düsseldorf und zuletzt in Dresden bei Prof. John Holloway

studiert. Eine Verlängerung ihres Vertrages bei der Dresdner Philharmonie hat sie kürzlich abgelehnt, um sich verstärkt einem sozialen Musikprojekt widmen zu können, das sie schon einige Jahre umtreibt: chilenischen Kindern Wege in die Musik bahnen zu helfen. Martin Morgenstern hat mit ihr vor ihrer Abreise nach Chile über die anstehenden Pläne gesprochen.

Frau Müller, Sie sind von Chile „infiziert“, haben schon mehrere Reisen in das Land hinter sich, auf denen Sie Konzerte und Meisterkurse gaben. Wie kam es denn, dass Sie sich überhaupt mit der chilenischen Musikkultur beschäftigten?

Einer meiner Kammermusikpartner, der Oboist Diego Villela, ist Chilene. 2007 fuhren wir mit unserem Ensemble Migrante das erste Mal nach Chile, gaben Konzerte und Workshops. Im vergangenen Jahr haben wir dann schon konkreter mit zwei Orchestern in Santiago gearbeitet. Wenn Sie sehen, mit welch unglaublichem Enthusiasmus die Lehrer und Eltern unter schwierigen Umständen für die Kinder da sind, kommen Sie nicht daran vorbei, deren Arbeit unterstützen zu wollen. Deshalb hatten wir Spenden im Gepäck: Instrumente, die wir sehr preiswert von der Dresdner Hochschule erwarben, Noten und anderes Zubehör. Vieles kam von Freunden, dem Lionsclub Dresden Carus, sowie von Kollegen und der Leitung der Philharmonie, die sich für das Projekt sehr interessiert und eingesetzt haben.

In Kürze geht es wieder auf die Reise. Bis Anfang Juni wollen Sie diesmal fahren und haben sich mehrere Stationen vorgenommen.

Mein ganzer Arbeitsraum liegt momentan mit Instrumentenkästen voll; ein Freund baut gerade eine große Kiste für den Transport. Etwa zwanzig Geigen, ein Cello, Gitarren, Blockflöten und viel Zubehör warten diesmal darauf, mitgenommen zu werden. Ich werde auch noch einmal die Studenten der Hochschule für Musik um abgelegte Instrumentensaiten bitten. Wir Profimusiker hier können uns nicht vorstellen, mit welchem Material chilenische Schüler teilweise auskommen müssen. Und das, wo man beispielsweise ganz akzeptable Geigenbögen schon für zehn Euro kaufen kann.

Die Orchesterarbeit ist insgesamt doch sehr verschieden von der in unserem Land?

Ich kann natürlich nicht für alle Orchester sprechen. Aber bei denen, die ich kenne: Absolut. Die Orchesterbesetzungen sind recht variabel. Das Orchester im Santiagoer Stadtteil „Padre Hurtado“ zum Beispiel: zwanzig Geiger, ein paar tiefe Streicher und, sagen wir, zehn Gitarristen, einige wenige Blasinstrumente, davon hauptsächlich Blockflöten. Einer bindet sich noch eine Trommel vor den Bauch, und los geht’s. Proben und Konzerte finden in Schulen oder der Kirche angeschlossenen Räumen statt, die oft unbeheizt sind. Die vorhandenen Klaviere sind die letzten Krücken. Und doch findet sich dann samstags alles mit Spaß zusammen. Es wird geprobt, in der Pause wird Fußball gespielt, und die Mütter kochen Essen.

Wie muss man sich dann ein Konzert vorstellen?

Wir haben auch so konzertiert: man trifft sich, baut eine Bühne auf, alle haben sich schick gemacht, und dann geht es los: man spielt ein für die vorhandene Besetzung arrangiertes Stück, von Ravels Bolero über Vivaldisonaten bis hin zu Liedern von Inti Illimani und Violeta Parra (ihr Lied “Gracias a la vida” oder “Liebes Leben, danke” kennen viele Deutsche). Jeder spielt so ungefähr ein bisschen, was er will und kann. Es geht nicht um Professionalität, sondern um das Zusammensein, das gemeinsame Musizieren. Allerdings gibt es immer wieder Kinder, die sehr gut spielen und neben dem Unterricht im Orchester noch zum Konservatorium gehen und umfassend ausgebildet werden.

Können Sie mal einen konkreten Fall schildern, wo Sie vorhaben zu helfen – oder schon geholfen haben?

Letztes Mal habe ich zum Beispiel einen Cellisten kennengelernt: Salvador Palominos. Er ist 14 Jahre alt, spielt umwerfend schön, aber seine Eltern – ein Bäckerehepaar – haben kein Geld für seine Ausbildung am Konservatorium. Momentan legen die Eltern der Kinder aus seinem Orchester zusammen und bezahlen somit den Unterricht. Da würde ich gerne Abhilfe schaffen. Und bin konkret auf der Suche nach einem Paten der die Kosten übernehmen kann.

Aus Venezuela kennt man das staatlich geförderte “El Sistema”, ein Vorzeigeprogramm, in dem sozial benachteiligte Jugendliche eine fundierte musikalische Ausbildung erhalten. Gibt es ähnliche Programme auch in Chile?

Die Idee, Orchester zu gründen hat in Chile wie auch in Venezuela einen sozialen Hintergrund. Es geht in erster Linie darum, Kindern aus sozial schwachen Schichten den Zugang zu Instrumenten und Unterricht zu verschaffen, den sie Aufgrund ihrer Herkunft nicht haben. Der Staat unterstützt die Ausbildung in Form einer Stiftung, der „Fundacion de las orquestas juveniles“. In dieser Stiftung sind etwas mehr als 270 Orchester, an deren Spitze, ähnlich wie beim Sistema ein großes Sinfonieorchester steht. Allein in der Region Metropolitana (Santiago und Umgebung) gibt es 69 Kinder- und Jugendorchester. Deren Leiter bemühen sich neben ihrer sozial-musikalischen Arbeit auch noch um Sponsoren, um eine kontinuierliche Arbeit zu gewährleisten.

Was haben Sie sich für Ihren anstehenden Besuch vorgenommen?

Diesmal fahre ich allein, am 1. Juni will ich zurück in Deutschland sein. Der Zufall wollte es, dass ich gleich nach meiner Ankunft in einem Musikcamp als Lehrer in einem Austauschprojekt von deutschen und chilenischen Kindern arbeiten kann. Danach bin ich eingeladen, drei Tage pro Woche in Frutillar, einer Kleinstadt in Südchile zu unterrichten und in der örtlichen Musikschule beim Aufbau eines Orchesters mitzuhelfen. Jeweils in der zweiten Wochenhälfte werde ich in Santiago unterrichten, im Stadtteilorchester von Padre Hurtado, sozusagen ergänzend zu den anderen Lehrern.
Wenn Zeit bleibt, will ich natürlich selbst spielen und so viel Musik wie möglich hören.

Und wenn Sie wieder in Dresden sind?

Längerfristig möchte ich pädagogische Konzepte entwickeln, die sich auf die lokale Musikkultur Chiles beziehen. Vielleicht gibt es auch schon andere Projekte von Kollegen in dieser Richtung, vielleicht könnte man da einiges vernetzen? Die Kultur Chiles ist so reich an traditioneller Musik. Mir ist es sehr wichtig, dass die Kinder auf ihre kulturellen Wurzeln sehen – nicht nur nach Europa oder Nordamerika. Dadurch entsteht ein größeres Identitätsbewusstsein.

Für Leser von »Musik in Dresden«, die Katharina Müllers Projekte unterstützen möchten, hat der Verein Freie Akademie Kunst und Bau e.V. ein Spendenkonto eingerichtet:

Freie Akademie Kunst und Bau
Verwendungszweck: Chile
Kontonummer 3200058764
BLZ 85050300
Ostsächsischen Sparkasse Dresden

Wenn Sie lieber Instrumentensaiten oder anderes Zubehör für eine der zukünftigen Reisen spenden möchten, rufen Sie Katharina Müller am besten unter 0178.7318196 an (wieder ab 1.6.09) oder senden eine eMail an ensemblemigrante@yahoo.com.