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Der neue Ballettabend „4 Farben Rot“ an der Semperoper verebbt nach fulminantem Beginn in Langeweile

“Entsetzlich gekünsteltes Geschwurbel”: Kate Strong. Fotos (3): Costin Radu

Fangen wir an mit dem Ende. David Dawson, Hauschoreograf beim dresden SemperOper ballett seit 2006, nimmt Abschied in dieser Funktion. Etliche seiner Arbeiten fanden Eingang ins Dresdner Repertoire,

sie wurden oft und international gewürdigt. Dass es an der Entwicklungsfähigkeit hapere, dass sich ein gewisses Gleichmaß bemerkbar mache, dass man Dynamik vermisse, war immer wieder zu hören. Sicher berechtigte Einwände. Dawsons so streitbare wie begeisternde Version des Klassikers „Giselle“ sowie etliche seiner neueren und älteren Choreografien möchte man im Dresdner Repertoire nicht mehr missen, zumal sie in spannenden Korrespondenzen mit Arbeiten anderer Choreografen aus Vergangenheit und Gegenwart in besonderem Licht stehen.

Mit der Uraufführung vom Sonntag aber verhält es sich anders. „The World According to Us“ soll so etwas wie eine poetische Reise durch Epochen der Kunst sein, die zu uns sprechen, bzw. die uns prägen. So lassen sich Elemente des klassischen Altertums ausmachen, die Renaissance kommt ins Spiel, ein paar vage Assoziationen zu Erscheinungen populärer Gegenwart und vor allem Anklänge an unterschiedliche Tanzepochen prägen die langatmige, noch unfertig wirkende Arbeit. Dawson führt uns Facetten seines Bewegungsrepertoires vor und wir sehen wie hinreißend gut die Dresdner Tänzerinnen und Tänzer diesen Stil der in die Höhe geführten eleganten Arme und Beine beherrschen. Solistischen Passagen haben dabei mehr Charme als zusammengeführte Bewegungsabläufe. Den Männern gibt der Choreograf zudem die Gelegenheit, in Röcken der Antike und der Renaissance höchst virtuos in minimalen Divertissements so raffiniert wie exzellent aufzutrumpfen. Den Frauen bleiben elegischere Abfolgen.

Das sieht man alles eine ganze Weile recht gern, das Interesse aber erlischt dann schneller als den Machern lieb sein dürfte. Das liegt einmal daran, dass sich der Gedanke einschleicht die gesampelte Musik beliebter Stückchen von Bach oder Britten, Mendelssohn Bartholdy, Schubert, Vivaldi, Schostakowitsch, Strawinsky, Ligeti und Biber könne nicht so sehr viel mit dem Tanz zu tun haben und evtl. erst hinzugekommen sein, als es die Bewegungen schon gab. Harte Kost am Ende eines Abends, der mit zwei legendären Choreografien von George Balanchine ganz aus dem Geist der Musik begann. Noch härter aber ein endloser Schwall entsetzlich gekünstelt vorgetragener Texte durch die vom Tanz kommende Schauspielerin Kate Strong, die sie selbst in englisch-deutscher Mischung mit dem Choreografen verfasst hat. Bedeutungsschwangeres Geschwurbel eitler Machart, Zitate und Montagen, verstehbar oder nicht, unnötig auf jeden Fall.

Dagegen erstrahlen Natalia Sologub und Jiří Bubeníček…

Zurück zum Tanz. Zur Intensität körperlicher statt verbaler Expression führte zuvor die erste Uraufführung des Abends in einem dunkel gehaltenen Raum von Francoise Chirpaz und Kristen Cere. „Self Portrait“ ist eine Versuchsanordnung für fünf Tänzerinnen und Tänzer. Die Männer stehen bzw. tanzen im Vordergrund, sie sind mit prägnanteren Aufgaben streitbarer Auseinandersetzungen betraut. Der Andere, das unerforschte Gebiet, die Grenzen seiner Aura, die Durchlässigkeit derselben, die Unverletzlichkeit der Autonomie und die Lust an gewaltsamer Verletzung sind Themen oder besser gesagt die Herausforderungen, auf die diese elektroakustisch aufgeladene Choreografie vehement reagiert. Inwieweit es am Ende gänzlich überzeugend gelingt, Aspekte menschlicher Einzigartigkeit zu thematisieren, mag man unterschiedlich sehen. Vollends einig dürfte man sich darüber sein, dass man sich der Kraft und Energie der Tänzer und Tänzerinnen, die man zu sehen und zu spüren bekommt, nicht entziehen kann und will.

Mit den Solisten Natalia Sologub, Jirí Bubenícek und Britt Juleen, einem Herrenquartett sowie acht Damen des Ensembles werden George Balanchines „Rubine“ aus der Trilogie „Juwelen“ zum ersten Mal in Dresden zum Funkeln gebracht. Das ist der von Ballettchef Aaron S. Watkin verheißene Beginn einer choreografischen Erinnerungsarbeit, an deren Ende auch die „Diamanten“ und die „Smaragde“ erstrahlen sollen. Die tänzerische Präsenz, die technische Beherrschung der speziellen neoklassischen Anforderungen und die historische Bedeutung dieser Interpretation stehen außer Zweifel. Solche jedoch kommen auf angesichts der Rekonstruktion einer Bühnendekoration der New Yorker Uraufführung 1967 von Peter Harvey, deren bombastische Klunker-Ästhetik einer zeitgemäßen Sicht auf Balanchines Unterhaltungskunst der Spitzenklasse abträglich ist. Möglicherweise haben auch die gebrochenen, leicht ironisierten Bewegungen des klassischen Kanons in der seinerzeit mutigen Mischung mit Elementen der Show am Broadway nicht mehr so zündende Kraft, die ihnen einst den Erfolg bescherte. Etwas museal wirkt das alles schon in den mit Gold verzierten rubinroten kurzen Kostümen über weißen Strumpfhosen. Kleiner Einwand, aber großes Glück: denn getanzt wird prächtig zu Igor Strawinskys Capriccio für Klavier und Orchester, gespielt von der Staatskapelle mit dem Solisten Detlef Kaiser unter der Leitung von Paul Connely.

…und Katherina Markowskaya fliegt dem Auge fast davon

Einfach toll und begeisternd gut ist der Anfang dieses Ballettabends. Katherina Markowskaya und Jón Vlaejo tanzen Blanchines „Tarantella“ mit der flotten Musik von Louis Moreau Gottschalk und sie überspringen und überfliegen den garstigen Graben der Geschichte dermaßen gekonnt, elegant und technisch exzellent, dass es nur so eine Freude ist, ihnen dabei zuzusehen, soweit man bei dem höllischen Tempo überhaupt folgen kann. Knapp zehn Minuten werden zum Augenblick, die Zeit steht still. Die Markowskaya schwebt, springt und dreht, schönster Wahnsinn einer wahnsinnigen Kunst. Valejo, uneitel und rasant in einer irren Folge flacher Sprungfiguren die ihn knapp überm Boden fliegen lassen, optische Täuschung, Traum und Wunsch; wir heben mit ihm ab und halten den Atem kurz an, wenn der Ausnahmetänzer seine Bewegungen durch minimale Verzögerungen zu einer Abfolge von Höhepunkten kommen lässt. Tanzlust ohne Wenn und Aber, auf leerer Bühne, in strahlendem Licht vor dem blauen Horizont des Himmels. Eine Hommage an das Leben, ein weit aufgestoßenes Fenster am Horizont des Alltags.

Boris Michael Gruhl

Weitere Aufführungen: 7., 9., 10. Mai
www.semperoper.de