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Im Bett mit Dieter Jaenicke

Eine Aufführung zum Gähnen: »Bed & Breakfast« in Hellerau (Foto: M.M.)

Da sage noch einer, das Hellerauer Festspielhaus sei nur etwas fürs überregionale Feuilleton, unverständlich und irgendwie unnahbar für gemütliche Kaffeesachsen. Der neue künstlerische Leiter Dieter Jaenicke tut jedenfalls zur Zeit alles, um den Ort wieder zu erden und neue Interessengruppen für den Hügel zu gewinnen. Die jüngste Performance »Bed & Breakfast« von Heike Schmidt ist ein großer Schritt in diese Richtung und unbedingt geeignet, Sympathie bei allen zu wecken, die sich getraut haben mitzutun. Das Publikum wird bei diesem "Bed-in" nämlich Teil des Abends: zieht den Schlafanzug an, schlüpft in die Kissen und darf sich Schlaflieder wünschen.

Bunt ist die Mischung, von Engelbert Humperdincks "Der kleine Sandmann bin ich" bis zu "Heidschi Bumbeidschi bum-bum" reicht das Spektrum. Der Cellist und Komponist Thilo Thomas Krigar begleitet die Mezzosopranistin erfindungsreich, schafft alle nötigen Stimmungen zwischen flirrenden, alptraumhaften Flageolett-Arpeggien bis zur bieder gezupften Schubert-Begleitung und rezitiert, wenn nötig, auch mal ein Gedicht von Dickinson oder Beckett. Die Künstler wandern von Bett zu Bett, musizieren die Abendgäste in süßen Schlummer und knipsen dann das Nachttischlämpchen aus…

Spätenstens beim opulenten Frühstück, das – natürlich – die B&B-Performance beschließt und an dem sogar Dieter Jaenicke barfuß und noch ein bißchen unrasiert teilnimmt, nagen leise Zweifel am Kritiker. Sind Aktionen wie diese nicht Steilvorlagen für Kulturpolitiker, die die hohen Subventionen für den Hügel teilweise recht deutlich in Frage stellen? Eva-Maria Stange rechnete jüngst vor, dass jeder Platz in Hellerau pro Abend mit 200,- € subventioniert sei; man mag sich gar nicht ausrechnen, mit wieviel jedes der sechzig Betten hier zu Buche schlägt (zumal am ersten, eher für Familien konzipierten Abend kaum vierzig davon besetzt gewesen sein mögen). Wenn denn wenigstens die künstlerische Realisation wegweisend gewesen wäre. Stattdessen zuckt man öfter zusammen ob der nur ungefähr zusammengezimmerten Intonation des Duos, schüttelt leise den Kopf über die bruchstückhafte Dramaturgie (Erwin Jans) und ärgert sich, dass Christiane Stein, die für den Raum verantwortlich zeichnet, sich noch nicht einmal die Mühe gemacht hat, das Konzept an die anspruchsvolle Akustik des großen Tessenow-Saals anzupassen.

Während der schwarze Kater Roman draußen die Runde machte, gings im Saal gemütlich zu (Foto: D. Jaenicke)

"Hellerau leuchtet" wieder – und das ist unbedingt zu begrüßen. Mit atemberaubenden Übernahmen von anderen Häusern und demnächst sicherlich auch wieder mit europaweit ausstrahlenden Neuschöpfungen und Auftragsarbeiten. Dass der künstlerische Leiter mit seiner lange überfälligen Re-popularisierung des schwierigen Genres Zeitkunst den schmalen Weg zwischen sympathischer Publikums-Nahbarkeit und allzu Greifbarem auf unbeirrt hohem künstlerischem Niveau finden möge, wünschen wir uns von ganzem Herzen. Die Avantgarde, das ist schließlich die Vorhut, die auf ständige "Feindberührung" gefasst sein muss. Mit weniger sollte sich Dieter Jaenicke nicht zufrieden geben.

Martin Morgenstern

»Bed & Breakfast«
Letztmalig in Hellerau am 2. Mai (Beginn: 22.30 Uhr)
www.zeitmusik.de
Übernachtung und Frühstück für 28,- €