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Neues Jörg-Herchet-Werk erlebt Uraufführung in der semper kleinen szene

“Vertriebene aus dem Paradies” – finden sie »zueinander«? (Foto: PR)

Jörg Herchets neues Werk »zueinander« thematisiert die Sehnsuchtsträume und Begrenzungen des modernen Individuums mit seinem ausgeprägten Ichbewusstsein, das sich so stark von anderen Individuen abgrenzt, dass

Abkapselung und mangelnde Beziehungsfähigkeit scheinbar unumgängliche Folgen sind. Der Weg daraus, ein Befreiungsschlag?

»zueinander« – bereits der Titel enthält in seiner Bedeutung einen Kosmos von Beziehungen unterschiedlichster Art, die zwischen Menschen existieren können. Dabei handelt es sich nicht um eine feste Größe, sondern die Interpretation bietet Raum für unzählige Konstellationen, wie der Librettist Jörg Milbradt erläutert: “Zueinander bewegen sich die Körper im Raum, von äußeren Kräften gezogen oder gedrängt von inneren. Ob sie einander erreichen und zu einem Miteinander, gar einem Ineinander gelangen, ob sie vielmehr gegeneinander stoßen oder ob eine solche Bewegung aufgehoben wird durch die gegenläufige: der Entfernung voneinander – all das sind die vielerlei Spielarten, in denen sich auch die Bewegung von Menschen aufeinander zu und voneinander fort vollzieht, die gelingende, verfehlte oder verweigerte Kommunikation.”

Obwohl das Werk als “Szenenfolge für drei Personen” untertitelt ist, sind es doch sechs Akteure, die, zwei Gruppen zugeordnet, am Spielverlauf beteiligt sind: Auf der einen Seite gibt es einen zwanghaften Verstandsmenschen, der glaubt, alles zu kontrollieren und seine wahrgenommene Gegenwart durch Dokumentation bannen zu können. Neben ihm agieren eine in sich gekehrte Verstummte und ein menschlicher Seismograph, der hochemotional die Veränderungen seiner Umwelt widerspiegelt. Keiner der Figuren kommt aus ihrer Haut; alle drei bewegen sich ihrer körperlichen wie geistigen Implosion entgegen. Wir erleben sie wie Vertriebene aus dem Paradies, ohne Entwurf für ein neues Leben und ohne Bezug zu ihrer gesellschaftlichen Gegenwart. Auf der anderen Seite, als Opposition zu dieser Figurenkonstellation, gibt es drei weitere Figuren. Es sind musikalisch sehr präsente Sänger, eine Art obere Instanz, die die drei Hauptfiguren bezwingen, vorantreiben oder manipulieren. Diese ebenfalls als Percussionisten tätigen drei Figuren stammen aus der Sphäre des auch szenisch agierenden Orchesters – ein insgesamt somit stark vergrößerter Figuren-Pool, in dem Neigungen, Abneigungen kommunikationsfähige und -unfähige Personen aufeinander prallen.

Seit seinem Studium wurde der Komponist Jörg Herchet von dem Plan begleitet, ein Drei-Personen- Stück zu verfassen, dessen äußere Anregung von Paul Sartres »Bei verschlossenen Türen« herrührt. Hierbei interessiert Herchet weniger die existenzialistische Weltanschauung des Literaten als die emotionale Konstellation der dort agierenden Figuren – eine Frau und zwei Männer, die sich dem jeweils anderen zuwenden, so dass die Liebe unerfüllt bleiben muss. Dies war jedoch nur der äußere, Jahrzehnte zurückliegende Anlass, der in den Hintergrund rückte, als der Librettist Jörg Milbradt den Text verfasste. So sind die allegorischen Deutungen der drei Personen – Musik, Schauspielkunst, Tanz – ebenso seine Vorgabe wie der enge Bezug zu Kleists Schrift »Über das Marionettentheater«, in der gezeigt wird, wie das menschliche Bewusstsein die künstlerische Unschuld und dadurch ihre Schönheit zerstört, dass Selbstbetrachtung zu einer bestimmten Art von Erkenntnis führe und dadurch die eigene Wahrnehmung grundlegend verändern könne.

Uraufführung am 6. März 2009, 20 Uhr
Weitere Aufführungen 7. | 12. | 14. | 15. | 21. März 2009, jeweils 20 Uhr