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„Die Renaissance der tiefen Stimmen ist überfällig“ – René Pape im Interview

“An mir soll es nicht liegen” – René Pape kehrt nach Dresden zurück (Foto: M. Creutziger)

Nach über 30 Jahren gibt es wieder eine Aufführung der Oper „Boris Godunow“ von Modest P. Mussorgski in Dresden. Die

Erstfassung des musikalischen Dramas – einem der bekanntesten Werke russischer Opernliteratur – hat heute abend Premiere in der Semperoper. Am Pult der Staatskapelle steht Sebastian Weigle, Christian Pade inszeniert in Alexander Lintls Ausstattung. René Pape, der international renommierte Bassist, wird in der Titelrolle seine erste Dresdner Premiere feiern. Boris Michael Gruhl hat unlängst mit ihm gesprochen.

Herr Pape, in Dresden sind Sie geboren und aufgewachsen. Vom Kreuzchor ging es zum Gesangsstudium an die Dresdner Hochschule für Musik, dann aber, noch als Student, sofort nach Berlin an die Staatsoper, wo Sie ein Engagement bekamen. Trotz Karriere, Erfolgen als Opern- und Konzertsänger: in Dresden hat man Sie eigentlich selten gehört…

An mir lag es nicht, an den Planungen eher, und an meinem Kalender. Immerhin habe ich ja in einigen Aufführungen in der Semperoper gesungen, aber eine Neuproduktion mit mir gab es nicht.



Jetzt sind Sie wieder hier, bald ganz und gar. Was ist der Grund für die Rückkehr?

Ich bin hier zu Hause, das ist meine Heimat, meine Umgebung. Es ist wirklich ein schöner Zufall, dass diese erste Inszenierung mit mir in Dresden jetzt kommt, wo ich dabei bin, demnächst meinen Wohnsitz hierher zu verlegen. Dem Ensemble der Berliner Staatsoper werde ich weiterhin angehören.

Noch kurze Zeit bis zur Premiere. Sie singen den „Boris Godunow“, die Partie ist für Sie nicht neu. Was ist das Besondere an dieser Rolle eines Herrschers – zumal ja Partien unterschiedlicher Herrscher zu ihrem Repertoire gehören.

Zunächst gibt es nicht mehr Besonderes als bei anderen Partien. Alle Herrscher, die ich singe und spiele, König Marke oder Philipp, und Boris der russische Zar, sind zerrissene Persönlichkeiten. Natürlich ist der Boris eine fordernde Partie, die von ihrem Interpreten viel verlangt, Konzentration und Kraft. Für den Darsteller gibt es einen großen Spielraum, weil immer wieder neue spezielle Situationen zu gestalten sind. Ist dieser Herrscher ein Kindermörder oder nicht? Wird er aus politischem Kalkül seiner Gegner zum Mörder gemacht? Das ist eine so große wie schöne Herausforderung und ein leidenschaftlicher Vorgang, eine solche Partie mit ihren vielen Schattierungen zu interpretieren. Als Sänger brauche ich Kraft, denn es gilt, bis zum letzten Abschied des Zaren, der versagt hat als Vater, als Politiker, den Menschen zu spielen und ihm glaubhafte Töne zu geben. 



Was ist das besondere an der Dresdner Inszenierung?



Es gibt jetzt die kompakte, intensive Fassung des Werkes, das hier über dreißig Jahre nicht gespielt wurde. Schon das ist etwas Besonderes. Die Staatskapelle spielt, das ist immer eine musikalische Besonderheit. Ich arbeite hier mit wunderbaren Kollegen in einer modernen Inszenierung, in der die Charaktere gut herausgearbeitet sind, zugunsten einer stimmigen Erzählung der Geschichte. Mit modernen Inszenierungen habe ich keine Probleme, wenn sie dem Stück dienen, gut gemacht sind und das Publikum ansprechen.

Und die Zusammenarbeit mit dem Dresdner Ensemble, mit dem Dirigenten, mit dem Regisseur?


Mit dem Dirigenten Sebastian Weigle verbindet mich eine lange gemeinsame Arbeit, das gibt ein gutes Fundament für diese erste Inszenierung hier. Wir haben auch mit der Staatskapelle meine CD eingespielt. Die Zusammenarbeit mit Christian Pade ist für mich neu. 
Und das Ensemble mit den Gästen, und wie schon gesagt, mit der Staatskapelle, das ist ein enormes Potenzial, mit dem Dresden schon bald wieder in der obersten Liga des Operngeschehens mitspielen kann. So wie es mal war, als der Ruf der Dresdner Oper dem aller anderen Häuser voraus war. Das kommt wieder.

Zu den Musikfestspielen geben Sie in Dresden einen Liederabend. Eine neue Facette Ihres Repertoires?



Ja. Ich betrete ein neues Feld nach zwanzig Jahren, in denen ich mich vornehmlich der Oper verschrieben habe. Es gilt, neue Facetten zu entdecken, und in Dresden gebe ich, nach der Premiere in der Carnegie Hall in New York, überhaupt erst meinen zweiten Liederabend. 



Sie haben sich ja auch schon sehr unkonventionell gegeben, mit den Bearbeitungen der Gruppe Rammstein. War das eine einmalige Sache, oder ist da wieder eine Begegnung der besonderen Art in Sicht?

Bisher gab es leider keine weiteren Gelegenheiten. Grundsätzlich bin ich offen für neue Projekte, Planungen gibt es auch, aber darüber kann ich jetzt noch nicht sprechen. Das Werk, das hier in Dresden aufgeführt wurde („Mein Herz brennt“), erlebt im nächsten Jahr eine Aufführung mit dem London Symphony Orchestra. 



Im Zusammenhang mit Ihrer letzten CD haben Sie davon gesprochen, dass es für Sie wichtig ist, auch immer wieder unbekanntes Terrain zu betreten. Wohin geht es da demnächst?

Zunächst geht es mir auch darum, den Horizont der zu stark eingeengten Hörgewohnheiten gehörig zu erweitern. Das liegt auch an Medienstrategien und Vermarktungsmechanismen. Es gibt doch auch tiefe Stimmen, nicht nur Soprane und Tenöre, und Oper ist weit mehr als immer wieder “La Bohème“. Die Renaissance der tiefen Stimmen ist überfällig.

Und wie geht es mit dem Opernsänger weiter, nächste Ziele, offene Wünsche, Pläne für Dresden?

Ich werde versuchen, so oft wie möglich in Dresden zu singen. Die Chancen der Zusammenarbeit gilt es zu prüfen, die Kompatibilität muss stimmen. An mir soll es nicht liegen. Ich singe gern hier.