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Uraufführung eines neuen Auftragswerkes in Hellerau

“Stille Klangbeschreibung”: Partiturausschnitt Smutnys

Eine Stunde kürzer wäre es vielleicht ein knackiges Konzert geworden. So schleppten sich die Minuten im Großen Saal doch etwas, während der Perkussionist Bernd Settelmeyer andächtig mit einem Besen auf einer großen Trommel

wischte, Manuel Stagars Walkmans mit Kassetten füllte und einem rot leuchtenden Touchpad Pieps- und Knacklaute entlockte. Mit vom Laptop zugespielten Schallplattenkratzgeräuschen und wunderbar harmonischen Klavierklängen begeistert man jugendliche Retro-Clubsound-Liebhaber; das überschaubare Hellerauer Publikum blieb jedoch angesichts des durchgängig unscharfen Schwarzweiss-Stummfilms in Punk-Handkamera-Zitteroptik eher reserviert.

Für die Uraufführung, ein Auftragswerk des Europäischen Zentrums Hellerau, griff der in Leipzig ansässige Komponist Daniel Smutny auf Elemente seines Streichtrios “arc en ciel” zurück. Das Ergebnis hätte König Schahriyar vermutlich nicht gefallen: Smutny verzichtet auf jeglichen Spannungsaufbau, der ja der mutigen Sheherazade von Nacht zu Nacht das Leben rettet, und probiert stattdessen tausendundeinen Bogenstricheffekt durch, als obs kein Morgen gäbe. Klar, auch das sonore Brummen, das entsteht, wenn der Cellist den Saitenhalter anstreicht, hat seine Berechtigung in einer Welt, da die Zeit aufgehoben scheint. Der angestrebte “multimediale Wahrnehmungszustand, in dem die eigenen Erwartungshaltungen zum Thema einer stillen Klangbeschreibung werden” (so ungefähr das Programmheft), dauerte mit zwei (gefühlt: fünf) Stunden aber zu lang. Auch wenn der Verzicht auf Entwicklung und Dynamik dem Thema “Als würde es kein Morgen geben” geschuldet sein mag: nicht nur die Geduld eines Herrschers hat Grenzen. Die das Ensemble offenbar einfach mutig ignoriert: der letzte Gästebucheintrag auf der Internetseite der Band des Filmregisseurs Izy Kusche lautet “Gibt es euch noch? Oder seid ihr schon Legende?”. Eine Antwort steht seit acht Monaten aus.

Anders Winter

Eine Textfassung des Artikels ist am 8. Oktober in der Sächsischen Zeitung erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abzudrucken.