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Verhängnisvolle Vaterliebe – Der neue »Rigoletto« in der Semperoper ist vor allem ein akustischer Genuss

(Foto: M. Creutziger)

Am Anfang der Fluch, am Ende auch. Ein Kind, eine Tochter, ist vernichtet. Das Leben geht weiter, wie auch immer. Neue Väter, neue Kinder, neue Opfer, neue Flüche. Väter kommen in Giuseppe Verdis

Opern nicht besonders gut weg. Auch wenn sie es angeblich, zwar niemals gänzlich ohne Eigennutz, gut meinen. Für ihre Kinder, die Töchter besonders, geht es nie gut aus. Für Rigolettos Tochter Gilda geht es tödlich aus.

Der Fluch in dieser Oper musikalischer Kontraste aus abgründiger Finsternis und himmlisch strahlendem Licht eröffnet das so knappe wie rasante Werk mit wenigen düsteren Takten, vornehmlich der Trompeten und Posaunen. Dann, in scharfem Bruch, die schmetternde Blasmusik der Banda, hektische Klänge ganz anderer Art aus dem Geist des Vergnügens an lebenden Leckerbissen. Rigoletto an seinem Arbeitsplatz. Der systemerhaltende Spaßmacher. Der Mittäter auf Menschenjagd. Das Rädchen im Getriebe einer Frischfleischbeschaffungskette für zeitlose Abnehmer. Könige, Herzöge, Künstler, Zeitgeister jeder Zeit. Rigoletto, der Narr, der meint, er könne für sich die Welten trennen.

Er kommt von unten. Zu den Klängen des Vorspiels steigt ein Biedermann aus dem Souffleurkasten auf die schwarze Bühne. Er legt seine „Arbeitskleidung“ an, grünes Narrenzeug am Leibe, die Kappe auf dem Kopf, in der Hand die Marotte. Es gibt viel zu tun. Sein Arbeitgeber, der Herzog von Mantua, ist auf der Jagd. Dass dessen Gelüst längst der unter Verschluss gehaltenen Tochter Gilda gilt kann Rigoletto noch nicht wissen. Dass er selbst zum Handlanger im tätlichen Sinn bei nächtlicher Beschaffungskriminalität wird, auch nicht. Der Narr meint schlau zu sein. Er tritt andere. Den Grafen Monterone, dessen Tochter gerade erlitt, wovor er sein Kind mit närrischen Wegsperrängsten bewahren will. Schon nimmt das Verhängnis seinen opernhaften Lauf. Auf dem Weg von der Arbeit in der Hölle, nach Hause in sein Paradies, jenem Verlies, das für seine Tochter, die er dort versteckt hält, die Hölle ist, trifft der Mann, der mit Worten tötet auf einen Berufsmörder, für den er bald einen Auftrag haben wird.

Davon, dass das engelgleiche Kind längst seinen Verfolger als Befreier verklärt, kann er ebenso wenig wissen wie davon, dass sich die von im bezahlte Wärterin etwas dazu verdient. Sie schleust den als Studenten verkleideten Herzog bei Gilda ein. Der Narr hat die Fäden seines Netzes längst nicht mehr in Händen. Einziger Ausweg, ein Mord am Herzog, an dessen Stelle Gilda bewusst stirbt, um den Mann zu schützen, dem sie in allem Unglück zumindest einen himmlischen Augenblick der Befreiung vom Vater verdankt. Dass die Sterbende die Kraft hat, mit überirisch schönen Tönen ihren wahren Mörder, den jammernden Narrenvater zu trösten, ist klingender Beweis dafür, wer die Hauptperson dieses Stückes ist.

Das hörten und sahen die Premierenbesucher in der ausverkauften Semperoper auch so und überschütteten Diana Damrau als Sängerin der Gilda mit überaus herzlichen Ovationen. Mit dem ersten Auftritt dieser in allen Phasen souveränen Künstlerin war klar, dass sie das musikalische und emotionale Zentrum dieser Aufführung ist. Tänzerisch, traumwandlerisch, mit zärtlichen Klängen, entführt sie sich und uns in erträumte Seligkeiten. Zu Herzen gehen die Schmerzenstöne im Duett mit Rigoletto am Ende des zweiten Aktes, wenn die Tragödie nicht mehr aufzuhalten ist. Als grüßten schon die Klänge aus anderen Welten erhebt sich die Klarheit ihres reinen, dabei von sinnlichem Flirren durchpulsten Soprans, über der Erotik aus Begehren, Tod und Geschäft, im berühmten Quartett des letzten Bildes. Mit Zeljko Lucic, der als Rigoletto sein Debüt gibt, hat sie einen Partner, der in Spiel und Gesang überzeugende Haltungen und Töne für die tragische Zerrissenheit seiner Narrenfigur findet. Das ist eine existenzielle Leistung.

Juan Diego Flórez gibt einen gut aussehenden, vornehmlich auf sich selbst bezogenen Herzog. Mit schlankem, hellem Tenor nähert er sich der Figur eines gefährlichen und gewissenlosen Verführers eher mit Vorsicht als mit Bravour.
Gefährlich hingegen die schmale Mördergestalt Sparafucile des Georg Zeppenfeld, der zudem beängstigende, nüchterne, geschäftliche Töne hat, deren subversive Wirkung nicht zu unterschätzen ist. Der pralle Gegensatz, Abbild und Klang des Lebens im Augenblick, ist Christa Mayer als seine Schwester Maddalena. Ihnen allen, dazu den weiteren Mitgliedern des Ensembles, den Herren des Chores, den engagierten Tänzerinnen und Tänzern, galt großer, zustimmender Applaus des begeisterten Publikums. Ebensolche Reaktionen für Fabio Luisi, die Staatskapelle und – bei vereinzelten Missfallensbekundungen – das Inszenierungsteam. Dabei bevorzugt Luisi mit den Musikerinnen und Musikern die selten gewordenen Tugenden der Begleitkunst, ohne sich mit eigenwilligen Akzenten, ungewöhnlichen Tempowahlen oder ausgeklügelten Raffinessen in den Vordergrund zu spielen. Groß ist der Dirigent mit den Musikern bei der Auslotung kammermusikalischer Tiefenschärfe, etwa in der düsteren und richtungswesenden Begegnung Rigolettos mit dem Mörder Sparafucile im zweiten Bild des ersten Aktes. Unaufdringlich aber unüberhörbar die drängenden, dumpfen Figuren der tiefen Streicher mit den Holzbläsern. Musikalisch erleben wir die Intimität eines Kammerspiels, szenisch weniger.

Der Regisseur Nikolaus Lehnhoff will uns in den Bildern von Raimund Bauer mit gesellschaftskritischen Fingerzeigen in die psychologischen Abgründe einer unangenehmen Gesellschaft führen. Dabei ist das Leben die Hölle. Abstieg und Gefangenschaft in Gier und Lüsten, die der einen, im Verlies väterlich krankhafter Fürsorge, das Inferno für Gilda. Dass Menschen zu bissigen Vögeln, gefräßigen Reptilien oder Teufeln werden können, hätte der Regisseur wirksamer und glaubwürdiger durch Personenregie erarbeiten sollen, als durch attraktive aber letztlich plakative Maskierungen von Bettina Walter ganz allgemein in hausbackenen choreografierten Haltungen zu behaupten.
Die optische Wirkung behindert die akustische nicht, die man sich insgesamt auch akzentuierter und etwas verführerischer denken kann.

Boris Michael Gruhl

(Eine Druckversion des Textes ist zuerst erschienen in: Dresdner Neueste Nachrichten, Ausgabe vom 23.2.2008. Ich danke dem Verlag für die freundliche Nachdruckgenehmigung.)