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„La Bohème“ – Neue Inszenierung der Hochschule für Musik am Kleinen Haus

Was schreiben die Zeitungen über uns? (Probenfoto: Christian Borchers)

Am 19. Januar 2008 hatte Giacomo Puccinis Oper “La Bohème” am Kleinen Haus Premiere. Studierende der Hochschule für Bildende Künste haben die Ausstattung geschaffen, auf der Bühne und im Orchestergraben musizierten Studenten der Hochschule für Musik. Wie gelang es, eine moderne Inszenierung zu entwerfen, die auch Studenten anspricht? Martin Morgenstern hat dazu vor der Premiere mit dem Regisseur Prof. Baumann, dem Bühnenbildner André Thiemig und der Kostümbildnerin Martina Strahl gesprochen.

Es ist heute eher ungewöhnlich, wenn eine Musikhochschule das Werk “La Bohème” überhaupt öffentlich inszeniert…

Andreas Baumann: Ja, das Werk ist mit einer bestimmten Erwartungshaltung verbunden. Der pädagogische Wert des Stückes für die Sänger ist sehr groß, aber auch für das Orchester ist es eine Herausforderung. Puccini schreibt nicht nur Füllstimmen, sondern fordert eine harte, klein strukturierte Arbeit. Inhaltlich ist “La Bohème” eine der wenigen Opern, die ausnahmsweise eine Geschichte junger Menschen erzählt. Der Regiegedanke, der uns dabei besonders interessiert, ist: wie transportieren wir für unser Publikum generationsübergreifend diese Geschichte der großen Einsamkeit und der großen Sehnsüchte?

Die Geschichte der Bohème ist ja trotz eines Librettos, das die Örtlichkeiten genau beschreibt, recht universell.

Andreas Baumann: Zunächst ist es eine urbane Geschichte; ob die in Dresden, Seoul, Moskau oder Paris spielt – reiner Zufall. Wir besetzen nun diese italienische Oper zu einem großen Teil mit Koreanern. Beim Freischütz wäre das vielleicht etwas schwieriger, klar.

Sie inszenieren schon sehr lange mit Studenten und haben die Internationalisierung des Fachs über eine lange Zeit miterlebt. Woran liegt es eigentlich, dass immer mehr Musiker an deutschen Musikhochschulen studieren, die aus dem asiatischen Raum kommen?

Andreas Baumann: Diese Frage darf man eigentlich nicht in Richtung Korea adressieren, sondern muss sie bei unserem mitteleuropäischen Verhältnis zu Fragen der Kultur, Bildung und Kunst ansetzen – und auch bei unseren Lebensprinzipien. Warum ist die musikalische Früherziehung bei uns nicht so gut? Da gibt es politische, soziale und kulturelle Fragen, die man berücksichtigen muss. Ich werde oft gefragt, warum ich die Rollen nicht mit Europäern besetzen kann. Fakt ist: die meisten Koreaner arbeiten mit eiserner Disziplin. Außerdem haben sie ein starkes Interesse an der abendländischen Kultur. Darüber hinaus sind sie vor allem versiert im Kopieren! Wir haben es uns zum Ziel gemacht, die Methode des Kopierens zu überwinden und die eigene künstlerische Meinung herauszuarbeiten. Wo die grundsätzlichen Defizite bei in unserer Kultur zu suchen sind, wissen wir ja: das hängt oft mit dem Elternhaus, mit der musischen Allgemeinbildung zusammen. Das Regiekonzept unserer Inszenierung spielt unter anderem auch auf das Verhältnis von Glücksanspruch und Käuflichkeit im weitesten Sinne an.

Wie sind Sie an “La Bohème” herangegangen?

André Thiemig: Für uns Studenten ist das natürlich ein Glücksfall, wenn es die Möglichkeit gibt, eine Bühnenidee auch praktisch umzusetzen. Vieles bleibt in unserem Studium Entwurf. Aber auf den Proben passiert ja auch viel, es gibt völlig neue Wechselwirkungen zwischen Raum, Darstellern und Kostümen.

Das Raumkonzept der Oper ist ein kniffliges. Weil die Oper so häufig gespielt wurde, haben sich Erwartungshaltungen aufgebaut. Wir probieren schon einen eigenen Zugriff. Wichtig ist, dass der Raum praktikabel ist, dass die Bilder zusammenhängend begreifbar sind. Und natürlich, dass das Bühnenbild auch bezahlbar bleibt. Beide Hochschulen tragen ein gemeinsames Budget, das für diese Produktion bei 16.000 € liegt.

Das Bühnenbild soll eine Strenge bekommen, die Puccinis illustre Ideen bündelt. Sie wird sehr einfach aussehen. Im Wesentlichen gibt es zwei große Wände. "La Bohème" ist eine sehr gefühlsbeladene Geschichte. Mir persönlich geht es so: Ich mag nicht diese seltsame Theatergefühlsseligkeit. Die Bühne muss die Präsenz des Darstellers übermitteln und zulassen. Die Vorgänge zeigen, die Gefühle auslösen. Da interessiert mich nicht, welche Farbe der Kronleuchter hat.

So eine Bohème ist ja erst mal nichts Verwerfliches. Das Problem bei dieser Bohème ist: inzwischen funktionieren sie genau so wie zuhause bei Mama und Papa. Die entwickeln sich nicht mehr.

Wie fügen sich die Schauspieler in dieses Konzept ein?

Andreas Baumann: Die Studenten, die das Stück bereits kannten, waren zunächst über die Bühne erschrocken. Wir betreiben aber keine vordergründige Bilderstürmerei. Das finde ich in unserem Regieteam sehr angenehm. Die Zusammenarbeit geht weit über Kollegialität hinaus, wir diskutieren die tieferen Schichten des Werkes unvoreingenommen und das mit großem Respekt vor dem Werk. Wir bedienen keine allgemeingültigen Erwartungshaltungen, aber alles was wir tun, versuchen wir aus der Partitur Puccinis heraus zu filtern und ins Verhältnis zu unserer Zeit zu setzen. Und damit sind wir dann weit weg von einer Schwindsucht-Oper, die vordergründig den pathologischen Aspekt einer kranken jungen Frau bedient. Darüber wird mehr oder weniger am Rande informiert. Der Bazillus der Einsamkeit ist uns wichtiger.

Und die Kostüme?

Martina Strahl: Für das Kostüm ist das wichtigste, eine Gesellschaft zu zeigen. Wie kokettieren die Bohemiens mit ihrer Andersartigkeit? Die Künstler vor hundert Jahren waren arm, hatten nichts. Wir Studenten heute haben Geld, geben es aber lieber für Bier aus und sind zu faul, Kohle zu bestellen, und deshalb ist keine da. Und: die Bohemiens müssen auffallen! Das hat dann dazu geführt, den Chor in ähnlicher Farbe zu gestalten – einer graubraunen Suppe – die gehen alle einkaufen mit roten Tüten. Das ist der Konsumgedanke, der uns zu Weihnachten stark auffällt: eine Geschäftlichkeit ist das, die alle verbindet, und die für Beziehungskonsum mitgenutzt wird. Die Männer können sich die Frauen auch ein Stück weit kaufen.

Die Bohemiens erzählen das so: sie tragen ähnliche Kostüme und zweckentfremden sie für sich. Da wird collagiert, bemalt, kaputtgemacht. So eine Collagetechnik entsteht da, um sie herauszuheben: Assecoirs werden anders verwendet. Die sind auch mehr mit ihren Kostümen verwachsen. Alles ist auch ein bisschen inspiriert von japanischer Kultur, von japanischen Jugendbewegungen. Vivienne Westwood, gemischt mit Trödel. Daraus hat sich das entwickelt. Das steht auch mit den Koreanern noch in Verbindung, wenn Sie so wollen.

Studenten der HfBK stellen die Kostüme her. Wir nehmen nicht einfach nur die Materialien, wie sie zu kaufen sind; wir nehmen die Stoffe, besticken sie, bedrucken sie… Alles ist selbst gemacht, so dass sich auch die Studenten kreativ mit verwirklichen.

Im letzten Bild stirbt die vor allen Dingen die Bohème und nicht die junge Frau. Puccini dünnt die Musik an dieser Stelle aus.

Die Bohème stirbt – an ihrer Oberflächlichkeit?

Martina Strahl: Wenn man sich nie den Problemen des Lebens stellt, bricht es irgendwann auseinander. Die Bohemiens haben keinen wirklichen Platz im Leben. Spaß alleine ist kein Lebenszweck. Beim Tod Mimis wird ihnen klar: wir können noch leben, wohin wollen wir? Das muss jeder mit sich selbst ausmachen.

Andreas Baumann: Woran stirbt die Bohème? An der Erkenntnis des Irrtums: da finden sich ein paar junge Leute zusammen und wollen sich einfach durch ihr Anderssein von der gesellschaftlichen Norm abgrenzen. Schmiedet das wirklich zusammen? Nein, man kann dieser Welt, so wie sie ist, nicht entfliehen. Veränderung ist nötig – man kann vielleicht auch einiges beeinflussen, oder sich umbringen, aussteigen – aber sich einfach eine Insel inmitten einer bürgerlichen Gesellschaft zu bauen, um seine sehr persönlichen Visionen ganz zu leben, das, so erzählt es die Oper La Bohème, muss letztlich scheitern.

Nächste Vorstellungen:
Sa 26.01.08/20:00, Mo 28.01./18:00, Do 31.01./20:00, Di 05.02./20:00, Do 27.03./20:00, Di 01.04./20:00, Sa 05.04./20:00, So 13.04./15:00, Mi 23.04.08/20:00 Uhr
im Kleinen Haus des Staatsschauspiels Dresden.

Kartenbestellung telefonisch unter 0351 / 49 13 555, unter www.staatsschauspiel-dresden.de oder an der Abendkasse.