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Helene Grimauds Prager Affäre

Der Prager Veranstalter hat sich mit seiner Behauptung, Frau Grimaud habe das Konzert wegen eines falsch eingestellten mittleren Pedals abgesagt, wohl ein Eigentor geschossen – die Pianistin benutzt dieses Pedal für das Beethoven-Konzert gar nicht. Der Zwist hatte offenbar einen anderen Ursprung?

Orchesterdirektor Jan Nast:
Die Aussagen des Direktors sind unwahr. Wie überall hatten wir auch in Prag die Voraussetzungen für das Konzert bereits lange vorher abgeklärt. Es gab zum Beispiel konkrete Anfragen zum Bestand der Instrumente, der uns offenbar nicht korrekt übermittelt wurde. Drei Stunden vor unserem Konzert traf sich Frau Grimaud mit dem Klavierstimmer, um das Instrument auf der Bühne auszuprobieren. Zu diesem Zeitpunkt weigerte sich der Stimmer, einige kleine Veränderungen, u.a. eine etwas härtere Pedaleinstellung, an dem sechzehn Jahre alten Steinway-Flügel vorzunehmen; er habe dazu kein Mandat vom Saalbetreiber, der Tschechischen Philharmonie. Frau Grimaud hat mich daraufhin gebeten, mit dem Veranstalter zu klären, dass der Flügel verändert oder ein anderer zur Verfügung gestellt würde. Nachdem ich einem Mitarbeiter diese Bitte vorgetragen hatte, bestätigte der die Aussage des Stimmers: am Flügel waren keinerlei Veränderungen erlaubt, und ein anderes Instrument sei nicht verfügbar.

Über dieses Problem haben Sie dann sofort den Dirigenten, Fabio Luisi, informiert…

Ja. Der bat, den Direktor des Festivals, Pavel Spiroch, zu holen – und dann begann das eigentliche Desaster. Spiroch kam zu uns in die Dirigentengarderobe, schlug die Tür hinter sich zu und beschimpfte Frau Grimaud. Schließlich sagte er ihr die Mitwirkung am Konzert ab mit dem Hinweis, sie möge nie wieder nach Prag kommen! Herr Luisi drückte ihm daraufhin sein absolutes Befremden aus; er fühle sich nach diesem Vorfall und der veränderten Konstellation nicht in der Lage, dieses Konzert zu dirigieren, wenn die Solistin auf diese Weise beleidigt würde. Daraufhin sagte der Direktor das gesamte Konzert ab. Unsere gemeinsam mit dem Orchestervorstand getroffene Entscheidung lautete dann, man sehe sich nicht in der Lage, das Konzert nach der vollzogenen Absage und unter diesen Umständen zu spielen, und das teilte Herr Luisi den Musikern mit. Das Orchester war extrem enttäuscht, das können Sie glauben.

Der Festival-Direktor selbst hat das Konzert abgesagt und Sie aufgefordert, das Haus zu verlassen?

So ist es. Frau Grimaud sagte mir gegenüber zu keinem Zeitpunkt, sie spiele nicht; zu einer Absage gegenüber dem Veranstalter wäre sie allein rechtlich gar nicht in der Lage gewesen, denn der Vertragspartner war in dem Fall ja die Sächsische Staatskapelle. Bis heute ist übrigens nicht der Ansatz einer Entschuldigung von Herrn Spiroch gekommen!

Die Festival-Mitarbeiter sollen allerdings noch versucht haben, das Konzert zu retten…

Ja. Kurz nach dem eigentlichen Konzertbeginn wurden uns von Mitarbeitern alternative Flügel angeboten; das ist sehr wahrscheinlich am Direktor vorbei geschehen.

Wie kann sich ein international tätiges Orchester denn vor derartigen Vorgängen schützen? Helfen vielleicht einschlägige Vertragsklauseln mit dem Veranstalter, zum Beispiel über die Marke, Alter und Zustand von Konzertflügeln?

Die Staatskapelle Dresden gibt bis zu 35 Tourneekonzerte in jeder Saison weltweit, was klar macht, dass dies ganz normaler Bestandteil unserer täglichen Arbeit ist. Im Normalfall gibt es klar strukturierte Standartverträge, die alle Eventualitäten mit einbeziehen und die entsprechenden Verfahrensweisen klären. Allerdings wird man sich nicht in jedem Fall in allen Vertragspunkten und Formulierungen in den optimalen Vorlaufzeiten einig. Die technischen und organisatorischen Absprachen, so zum Beispiel die Bühnen- und Instrumentenanforderungen, werden allerdings sehr langfristig geführt, so auch im genannten Fall. Das Wichtigste allerdings auch in unserem Business ist das Vertrauen zwischen Partnern, ohne diesem das Tourneegeschäft ansonsten nicht funktionieren würde. Man muss aber noch einmal betonen, dass dieser spezielle Vorfall sich für uns zum ersten Mal darstellte.

Hélène Grimaud war ja im letzten Jahr durch eine verschleppte Lungenentzündung gezwungen, eine Anzahl Konzerte abzusagen – nun ist der Prager Vorfall Wasser auf die Mühlen derjenigen, die in ihr eine Exzentrikerin sehen. Dass Frau Grimaud versucht hat, eine gangbare Lösung für den Abend zu finden, interessiert offenbar nur wenige…

Das ist einfach eine extrem unfaire Behandlung durch die Medien: man einigte sich schnell, da einfach wieder in die bekannte Kerbe zu schlagen und Frau Grimaud als launische Diva darzustellen. Tatsache war: der Grund, dass das Konzert nicht stattfinden konnte, war ein anderer.

Welche rechtlichen Konsequenzen sind nach der Absage des Konzerts durch Pavel Spiroch, der mehreren Augenzeugen zufolge zum Zeitpunkt des Streits stark betrunken war, zu erwarten? Ist der Direktor für das Festival nach solch einem Lapsus überhaupt zu halten, oder erwarten Sie hier auch personelle Konsequenzen?

Den Reaktionen anderer Konzertveranstalter und der tschechischen Presse war zu entnehmen, dass Pavel Spirochs Verhalten bekannt ist. Viele empfanden es als große Schande für Tschechien, dass die Staatskapelle Dresden auf diese Weise nach Hause geschickt wurde. Was die personellen Folgen angeht: Ich könnte mir vorstellen, dass da etwas passiert. Die genaue Situation des Festivals "Prager Herbst" kenne ich aber nicht.

Die deutsche Botschaft in Prag wurde noch am Abend eingeschaltet. Droht jetzt eine Zwischeneiszeit in den künstlerischen Beziehungen?

Ich hatte Minuten nach dem Vorfall Kontakt mit der deutschen Botschaft und habe mit dem Pressesprecher alle weiteren Vorgänge abgestimmt. Auch der Botschafter war noch am Abend involviert. Gemeinsam wollen wir alles tun, damit das Konzert zu einem geeigneten Zeitpunkt nachgeholt werden kann. In diesem Punkt erwarte ich Kooperation, die mir auch bereits signalisiert wurde.

Der Wunsch des Orchesters besteht also, bald wieder in Prag zu spielen?

Absolut. Wir sind ja gekommen, um für das Prager Publikum zu spielen. Die Kollegen haben sich wirklich sehr auf das Konzert gefreut. Nach einer langen Durststrecke traten wir vor zwei Jahren beim Festival "Prager Frühling" auf; und auch für die Zukunft ist eine regelmäßige Präsenz des Orchesters in Prag geplant. Das Fernsehen schlug uns gestern eine landesweite Fernsehübertragung des Ersatzkonzertes vor. Vielleicht wird es ein Benefizkonzert geben, dessen Erlös einem Prager Kulturprojekt zugute kommen soll? Wir werden das in Ruhe, aber mit Nachdruck planen.

(Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in der Zeitschrift "Das Orchester", Ausgabe 11/07. Ich danke dem Verlag Schott Music, Mainz, für die freundliche Nachdruckgenehmigung.) (Foto: M. Creutziger)